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Alpen und Kirche

Alpen und Kirche

von Stefan Vesper

Ich bin gerne katholisch. Das zu sagen, fällt mir nicht schwer. Auch nicht, dass ich es liebe, in den Bergen zu sein. Das hier aber schon eher: Ich schaue gerne Bergsendungen. Nicht den „Bergdoktor“ oder „Bergretter“, sondern Seriöses. Komme ich nach Hause nach langen Sitzungen – ein Glas Wein und eine Bergsendung, und die Welt ist im Lot. Berichte über Touren und Wanderungen, über Gipfelbesteigungen und Alpenüberquerungen. Bergauf – bergab geht es da – übrigens gibt’s das auch im Radio. Vor Jahren bin ich in vier Etappen von München bis Belluno gegangen. Im vergangenen Jahr war ich eine Woche Hüttenwirt in Tirol. Da gäbe es viel zu erzählen, zum Beispiel von 30 cm Schnee Mitte Juli.

Was hat das mit der Kirche zu tun? Die Alpen sind ein großes Ganzes – und bestehen doch aus unzähligen Seitentälern, aus Gipfeln und Ebenen. Touristischem und Verstecktem. Aus überlaufenen Highlights und unbekannten Schönheiten. Gesteinsarten sind verschieden, Sprachen, Baustile, Lebenswelten. Unterschiede nach Regionen, nach Höhe, nach Geschichte sind prägend. Es gibt Menschen, die ein Leben lang auf ein einziges Felsmassiv schauen. Und doch immer neue Wege und Wirklichkeiten entdecken. Die Alpen prägen die Menschen und umgekehrt. Wer von „den“ Alpen spricht, spricht eigentlich von unzähligen Lebenswirklichkeiten.

Wenn ich in den Bergen bin und diese Vielfalt sehe, geht mir immer wieder das Bild unserer einen – und doch unendlich vielfältigen – katholischen Kirche durch den Kopf. Keiner kann sie ganz kennen. Wir sollten nicht glauben, „die“ Kirche sei so, wie wir sie in unserem Seitental erleben. Kirche ist immer größer, sie ist immer anders, sie ist immer vielfältiger. „Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt“, hat Papst Benedikt gesagt.

Seien wir etwas gelassener. Wie niemand die Alpen ganz verstehen kann, so kann niemand unsere Kirche ganz verstehen. Unsere Kirche ist immer weiter, als wir meinen. Anders, als wir denken, reicher, als wir wissen. Die Vielfalt, die Eigenart, ist reizvoll – auch in solchen Seitentälern, die mir nicht gefallen mögen. Dann gehe ich woandershin, und kann immer wieder große und kleine Wunder erleben. Als ich einmal eine große europäische Versammlung mit vorbereiten durfte, habe ich erlebt, wie stark und kraftvoll Kirche in den verschiedensten Bereichen lebt, im Kleinen wie im Großen – und Kirche meint immer natürlich das ganze Volk Gottes …

Wer vor den Bergen steht, empfindet Demut. Seien wir ein wenig demütiger bezüglich der vielen unterschiedlichen Lebensformen in unserer Kirche. Das macht uns nicht kleiner. Noch nie hat es geschadet, ruhig und gelassen die Wirklichkeit anzuschauen, sei es in den Bergen oder in der Kirche – und auch mal zu sagen: Es gibt Größeres, als ich auf den ersten Blick verstehe …

 

Stefan Vesper

Dr. phil., geb. 1956, seit 1999 Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)

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