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Das hätte doch nicht sein müssen

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von Vernita Weiß

Mit einer großen Geschenktüte stehen die Weihnachtsgäste vor der Türe. Nach einer herzlichen Begrüßung wird das hübsche Weihnachtspräsent dem Gastgeber in die Hand gedrückt. Beim Überreichen des Geschenkes kommt es zu der erwarteten Antwort: „Das hätte doch nicht sein müssen.“

Geschenke sind überfließend

Was sagt man darauf? Die eigentlich richtige Antwort wäre: Ja, das hätte nicht sein müssen. Denn es macht ja ein Geschenk aus, dass es nicht sein muss. Geschenke sind überfließend über das hinaus, was sein muss. Und doch sind sie ganz und gar nicht überflüssig.
Das ist das Wunderbare an Geschenken, dass sich kein Müssen abspielt. Vielmehr sind sie eine Sprache der Liebe, die einfach nur schenken möchte, einfach nur dem Anderen Freude machen. Geschenke, die aus Liebe gemacht werden, sind überfließende Liebe, die über das Notwendige hinausgeht und vor allem über sich selbst hinausgeht.Was sagt man darauf? Die eigentlich richtige Antwort wäre: Ja, das hätte nicht sein müssen. Denn es macht ja ein Geschenk aus, dass es nicht sein muss. Geschenke sind überfließend über das hinaus, was sein muss. Und doch sind sie ganz und gar nicht überflüssig.
Das ist das Wunderbare an Geschenken, dass sich kein Müssen abspielt. Vielmehr sind sie eine Sprache der Liebe, die einfach nur schenken möchte, einfach nur dem Anderen Freude machen. Geschenke, die aus Liebe gemacht werden, sind überfließende Liebe, die über das Notwendige hinausgeht und vor allem über sich selbst hinausgeht.
Es war bei einer Fahrt durch Rom. An einer Straßenkreuzung stand ein junger Mann, den Arm voller langstieliger Rosen. Vom Bus aus konnte man sehen, wie ein Auto anhielt, und der Fahrer dem Mann eine Rose abkaufte, um sie dann nach rechts an seine Freundin oder Frau zu verschenken. Wahrscheinlich wäre die Rose in jedem Blumengeschäft günstiger gewesen, aber in der Liebe geht es nicht um Kalkulation und Preise, es geht um das „Giveaway“. Hier wird das Geschenk zum Symbol für den Schenkenden, die Person.
Wenn der kleine Benedikt die ersten Striche aufs Papier bringt und damit zu Mutter oder Vater läuft, um es ihnen zu schenken, dann begegnet uns schon im kleinen Kind etwas von der Freude und dem Stolz, etwas verschenken zu können. Und im Annehmen des Geschenks ist mit dem Geschenk die ganze Person des Schenkenden angenommen. Und dieses Spiel von Schenken und Annehmen, von Liebe, die geben kann, und Liebe, die annimmt, ist das grundlegendste menschliche und göttliche Spiel unserer Existenz.

Die verborgene Art zu schenken

Weihnachten ist das große Fest des Schenkens. Und mit all seinen Lichtern und Farben und Schleifen und Liedern und Karten und E-Mails und Begegnungen ist es bunt und laut. Alles geht ein bisschen über das normale Maß hinaus.
Geworden ist es aus dem größten Geschenk der Weltgeschichte, aus dem göttlichsten aller Geschenke: Gott, der Unendliche, der Schöpfer des Himmels und der Erde, macht sich in seinem Sohn, Jesus Christus, selbst zum Geschenk. Nicht groß verpackt und spektakulär präsentiert, sondern verborgen vor dem, was in der Öffentlichkeit wirkt und wahrgenommen wird.
Für diese verborgene Art des Schenkens hat sich Gott entschieden. Im kleinen unscheinbaren Kind von Bethlehem ist sein Überfluss verborgen.
Der unscheinbare und auf Hilfe angewiesene Anfang trägt in sich die Vollendung. Die göttliche Fülle ist Fülle in langsamer Entfaltung. Im kleinen, unscheinbaren Anfang steckt die Entfaltungskraft göttlicher Pläne und Verheißungen. Das Werden des Menschen, der Schöpfung geschieht im Geheimnis der Verborgenheit.
„Was wird aus diesem Kind noch werden?“, sagen wir gerne im Anblick eines Neugeborenen, das aus sich nichts vermag und doch schon alles in sich trägt, was ein Leben in Fülle möglich macht.
Wie viele Betrachtungen wurden schon angestellt, um diesen göttlichen Ratschluss zu verstehen.
Warum verbirgt Gott seine Überfülle im konkreten Entstehen und Heranwachsen eines Menschen? Warum zeigt er sich in menschlicher Bedürftigkeit, in menschlichem Lernen und Reifen, in menschlicher Entfaltung von Freiheit und Liebe?
Ist die verborgene Botschaft von Weihnachten vielleicht noch mehr als das Schenken, das Annehmen-Können?

Märchen, die Sprache der Kinder

Das Spiel von Schenken und Beschenkt werden, Mittellosigkeit und Überfülle wird auch in einem bekannten Märchen der Gebrüder Grimm thematisiert. Das Sterntaler-Mädchen durchwandert die Welt und verschenkt nach und nach alles, was es besitzt, bis am Ende Sterntaler nur noch mit einem Hemdchen bekleidet dasteht. Und dann passiert das Wunderbare: Der Himmel schenkt. Er lässt Sterne über sie regnen. Nicht ein oder zwei oder drei, eben für alles, was sie hergeschenkt hat, nein, es ist ein wahrer Sternenregen. Überfließende Überfülle. Sterntaler ist zum Giveaway geworden für die Menschen, denen sie begegnet ist. Sie ist für andere eine Erfahrung des schenkenden Gottes geworden und ist am Ende doch die, die sein Schenken über die Maßen erlebt.
Die caritative und soziale Dimension des Christseins hat viel mit Gerechtigkeit zu tun. Das verborgene Herz der Caritas jedoch ist das nicht berechnende, zweckfreie Schenken, das aus der Erfahrung des göttlichen Reichtums kommt. Das menschlich-göttliche Spiel des Schenkens und Beschenkt-seins will gelernt sein.

Ein Tipp für ein Weihnachtsgeschenk

Der kleine Nico hatte sich zu Weihnachten außer einem Traktor einen Bauernhof mit Tieren, wenn möglich, auch noch einen richtigen Hund gewünscht. Prompt bekam er zu Weihnachten ein riesengroßes Paket. Beim Auspacken verändert sich sein Gesicht immer mehr, denn nach jeder ausgepackten Schachtel kam eine neue, kleinere zum Vorschein, und so ging es, bis nur noch ein kleines Päckchen übrig war. Als er dieses öffnete, war darin ein kleiner Traktor und ein Brief mit Bildchen, durch den deutlich wurde, was sein Weihnachtsgeschenk ist: Mama, Papa und das Schwesterchen machen mit Nico einen Ausflug zum Bauernhof, und dort darf er mit einem richtigen Traktor fahren und mit dem Hund spielen.
Vielleicht ist in diesem Jahr unter dem Weihnachtsbaum ein kleines, unscheinbares Geschenk, eines, das nur Sie entdecken, mit einer ebenso unscheinbaren Wirkung, nämlich der, dass es Sie innen anrührt und das Spiel von Schenken und Beschenkt-Sein, von Beschenkt-Sein und Schenken-wollen in Gang bringt.
Vielleicht ist es das kleine Kind auf Heu und Stroh. Wenn ja, dann gönnen Sie sich ein dankbares Innehalten vor der verborgenen Überfülle im göttlichen Kind.

Vernita Weiß

Schönstätter Marienschwester, tätig in der Schönstattbewegung Deutschland, Familienseelsorge Erzdiözese Freiburg, Mitglied im ökumenischen Netzwerk Miteinander für Europa.

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