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Jubiläum der Barmherzigkeit

01.02.2016

7 Thesen zum „Jubiläum der Barmherzigkeit“

1. Wortbedeutung

„Barmherzigkeit“ ist heute zum Wort einer Sondersprache geworden. Es klingt in den Ohren der Menschen unseres Kulturkreises eher fremd. Wenn überhaupt wird es gleichbedeutend mit „Mitleid“ verwendet.
In der Sprachentwicklung ist das deutsche Wort eine Übersetzung des lateinischen „misericordia“. „miseror“ bedeutet „bemitleiden, beklagen“, „cor“ bedeutet „Herz“. So meint Barmherzigkeit vom Ursprung her also „Jemanden, der im Unglück ist, von Herzen bemitleiden“ – „Ein Herz haben für den, der unglücklich ist“.
Im allgemeinen Lebensfühl ist diese Art von Barmherzigkeit fast nur noch im privaten Bereich relevant. Unsere Sozialsysteme machen eine Versorgung Bedürftiger etwa durch Almosen und Spenden weitgehend überflüssig. Spendenaktionen im kirchlichen Bereich oder nach Katastrophen erinnern an das, was gemeint ist.

2. Barmherzigkeit und Gerechtigkeit

Menschen wollen einander „auf gleicher Augenhöhe“ begegnen. Keiner will barmherzig behandelt werden,  weil das ein Gefälle vom Geber zum Beschenkten beinhaltet und den Beschenkten vielleicht sogar bloßstellt. Wir wollen gerecht behandelt werden. Jeder möchte das für sich beanspruchen, was ihm von Rechts wegen zusteht.
Hier gilt es zu unterscheiden zwischen einer distributiven Gerechtigkeit, nach der alle gleich behandelt werden und gleich viel haben sollen, und einer ausgleichenden Gerechtigkeit, die auf die Bedürfnisse der einzelnen eingeht, also auch deren Notlagen ausgleicht. Barmherzigkeit lässt „Gnade vor Recht ergehen“. Sie schaut das an, was der andere in seiner Lebenssituation braucht.

3. Die unbedingte Liebe Gottes

Das, was Papst Franziskus mit dem „außerordentlichen Jubiläum der Barmherzigkeit“ – eröffnet am 8. Dezember 2015, gefeiert bis zum Christkönigfest 2016 – meint, greift aber über das hinaus, was wir in unserem Wortgefühl mit dem Begriff meinen.
Liest man die Verkündigungsbulle „Misericordiae vultus“, fällt auf, dass die Worte „Barmherzigkeit“ und „Liebe“ als Eigenschaften Gottes fast gleichbedeutend verwendet werden. Gottes unbedingte Liebe, die in Jesus Christus ein Gesicht bekam (MV 1 und öfter), meint die persönliche Zuwendung Gottes zu jedem einzelnen Menschen. „Gottes Barmherzigkeit ist nicht eine abstrakte Idee, sondern eine konkrete Wirklichkeit, durch die Er seine Liebe als die Liebe eines Vaters und einer Mutter offenbart, denen ihr Kind zutiefst am Herzen liegt. Es handelt sich wirklich um eine leidenschaftliche Liebe. Sie kommt aus dem Innersten und ist tiefgehend, natürlich, bewegt von Zärtlichkeit und Mitleid, von Nachsicht und Vergebung.“ (MV 6) Gottes Barmherzigkeit ist also nicht nur eine Großzügigkeit gegenüber den sündenanfälligen Menschen oder ein Wegwischen von Unzulänglichkeiten, sondern vorbehaltlose und liebevolle Zuwendung.

4. Sich erlauben, Kind zu sein

Die Liebe eines Vaters und einer Mutter, die diese vom Herzen her ihrem Kind entgegenbringen, sieht der Papst nicht nur als Vergleich für die Liebe Gottes. Dessen Liebe wird als Vater- und Mutterliebe identifiziert. Genau darin dürfte aber ein Problem für den heutigen, emanzipierten Menschen liegen. Er tut sich schwer, die Rolle eines umsorgten Kindes anzunehmen. Das Ziel der Kindheit ist, erwachsen zu werden. Als Erwachsener Kind zu sein oder zu werden, gilt als unangemessen, ehrenrührig, regressiv.
Diese Sicht  vergisst, dass es zur conditio humana, zum Wesen des Menschen gehört, nicht überall und jederzeit der Starke, Wissende, Überlegene sein zu können. Zur Gesundheit und Heiligung des Menschen gehört es, dass er auch schwach, unwissend und ratlos sein darf  – und das vor einem anderen, dessen liebevollen Dienst und heilsame Pflege (griechisch: therapeia) er gerne und dankbar zulässt.
Das Jubiläum der Barmherzigkeit Gottes könnte also zu einer Zeit werden, in der der emanzipierte Mensch neu lernt und sich selbst erlaubt, in neuer Weise Kind zu sein, letztlich Kind zu sein vor Gott.

5.  Wie Gott barmherzig sein

Die Barmherzigkeit Gottes gegenüber den Menschen ist der Maßstab für die Barmherzigkeit der Menschen unter Menschen (Lk 6,36): „ Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!“ Im griechischen Wort für Barmherzigkeit und Barmherzig-Sein schwingt der Affekt der Rührung und des Mitleids mit. Es geht um herzliches Mitgefühl.
Wir sollen uns also als Menschen mit innerer Einfühlung, mit Empathie einander so sehen, aneinander glauben und Wertvolles entdecken, einander aufbauen und fördern, wie Gott es mit den Menschen tut. „Denn Gott ist ein Gott der Menschen und will sein Heil für die Menschen durch Menschen wirken. Auch das ist ein Zeichen seiner Menschlichkeit und seiner Barmherzigkeit, die in Maria in einer exemplarischen und einmaligen Weise aufleuchtet“, so Walter Kardinal Kasper (in: Barmherzigkeit, S. 213 Freiburg: Herder).
Das mütterlich-väterliche Füreinander-Dasein hat aber nichts zu tun mit paternalistischem Gönnen von oben herab, sondern mit einem liebevollen Miteinander und Füreinander. In diesem Sinn schafft Barmherzigkeit Beziehung und eine Beziehungskultur, sie heilt kranke Beziehungen und überwindet eine „Globalisierung der Gleichgültigkeit“. Das hat Konsequenzen für das Miteinander der Menschen auf allen Ebenen, in Partnerschaft, Familie oder Nachbarschaft genauso wie in Politik und Gesellschaft, heute besonders in der Zuwendung zu den Flüchtlingen in unserem Land.

6. Barmherzige Kirche

Weil es der Auftrag der Kirche ist, Gottes Liebe zu verkünden, ist für Papst Franziskus die Barmherzigkeit „der Tragebalken, der das Leben der Kirche stützt“ (MV 10): „Die Glaubwürdigkeit der Kirche führt über den Weg der barmherzigen und mitleidenden Liebe.“ Die Öffnung für die Welt, die das Zweite Vatikanische Konzil wollte, ist darum eine barmherzige Zuwendung (GS 1): „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände.“
Wenn Papst Franziskus die Thematik der Barmherzigkeit und seine Sorge für Ehe und Familie im Zusammenhang mit den beiden Bischofssynoden zeitlich einander zuordnet, ist das ein bewusstes Zusammentreffen. Es bleibt abzuwarten, welche Konsequenzen er in seinem postsynodalen Schreiben aus dieser Zuordnung zieht.

7. Das Durchschreiten der Heiligen Pforte

Das Ritual, während des Jubiläums eine Heilige Pforte zu durchschreiten, soll uns sinnenfällig erleben lassen, dass Gott uns tatsächlich die Pforten seiner Barmherzigkeit auftut. Es ist zugleich die Verheißung, dass es mit Gottes Hilfe gelingen kann, sich im Umgang mit den Nächsten und Fernsten die Haltung der Barmherzigkeit anzueignen.
Zum Öffnen dieser Pforten gehört es, dass wir persönlich begreifen und verstehen, was Barmherzigkeit bedeuten kann. Gerade im Blick auf den heute eher zurückhaltenden Gebrauch des Wortes möchten wir Begriffe, Vorstellungen und Bilder suchen, die uns und anderen das Gemeinte verdeutlichen.

Darum die Bitte: Senden Sie uns zu folgenden Fragen Ihre persönlichen Überlegungen!
– Was ist für Sie „Barmherzigkeit“?
– Was bedeuten die sogenannten „Werke der Barmherzigkeit“ für Sie heute?
– Welche anderen, heute gängigen Begriffe ordnen Sie dem Begriff der Barmherzigkeit zu?
– Was ist der Lebensvorgang, die innere Bewegung, Barmherzigkeit zu erfahren und Barmherzigkeit zu schenken?

Bitte posten Sie uns Bilder oder Fotos, die für Sie Barmherzigkeit ausdrücken!

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