Michael Maas
Die Kirche und der Weg aus dem Lockdown
13.05.2020
In den Lockdown zu führen, war vergleichsweise einfach – zu lockern, das ist erheblich schwieriger. Was die Gesellschaft im Gesamten betrifft, gilt auch für die Kirche. Unter dem Eindruck der Bilder aus Norditalien war es verständlich, dass die Gottesdienste ausgesetzt wurden. Wie kann nun langsam das gottesdienstliche Leben wieder in unseren Gemeinden beginnen?
Da sind die einen, denen die Maßnahmen von Anfang an nicht verhältnismäßig erschienen und die sehr stark darunter leiden, die Eucharistie nicht feiern zu können. Da sind die anderen, die sehr vorsichtig sind und stärker im Blick haben, den rasanten Ausbruch der oft todbringenden Krankheit zu stoppen. Zudem wissen wir, dass viele Gottesdienstbesucher zur Risikogruppe gehören, bei denen mit einem starken Verlauf einer Erkrankung zu rechnen ist.
Über all dem liegen grundlegende Konflikte, die wir in der Kirche ohnehin haben. So frage ich mich beispielsweise, wie viel Mitgefühl wirklich dabei ist, wenn eine Gruppierung wie Maria 2.0 nun unter Verweis auf mögliche Erkrankungen abrät, Messen miteinander zu feiern – das auf dem Hintergrund, dass sie im vergangenen Jahr ganz ohne Corona ebenfalls zu 14 Tagen Abstinenz der Eucharistiefeier aufgerufen hatten. Und ich bin verärgert darüber, dass nun sogar Bischöfe und Kardinäle Verschwörungstheorien in die Welt setzen, das Corona-Virus sei dazu in den Umlauf gebracht worden, um eine Weltregierung zu installieren, die das religiöse Leben beschneidet. Und das, weil sie unbedingt zeigen müssen, dass die Eucharistie das Allerwichtigste ist und sie dafür sogar bereit wären, über Leichen zu gehen?
Was wir momentan brauchen, ist etwas anderes: Die Kirche sollte versuchen, jedem einzelnen Gläubigen in seinen ganz unterschiedlichen Sorgen und Ängsten gerecht zu werden. Dies gilt gerade auch im Bereich der Liturgie und der Gottesdienste.
Das kann gelingen, wenn für alle klar ist, dass Katholiken aus der Eucharistie leben, dass diese nicht nur auf dem Papier „Quelle und Höhepunkt“ unseres Lebens ist.
Dass aber genauso klar ist, dass dafür nicht das Leben anderer (!) aufs Spiel gesetzt werden darf.
Dann kann ich auch in der Zeit zurückgehender Beschränkungen anerkennen:
Da gibt es diejenigen, denen die momentane Situation zu bedrohlich erscheint und die deshalb weiterhin lieber von daheim aus Gottesdienste im Internet und Fernsehen mitfeiern möchten. Sie sind aus diesem Grund allerdings nicht weniger fromm als jene, die nun gerne auch unter schwierigen Bedingungen in großem Abstand und ohne gemeinsamen Gesang Eucharistie feiern wollen. Umgekehrt sind diese Menschen nicht egoistisch und achten gar nicht auf die Sorgen anderer. Sie freuen sich vielmehr, dass sie wieder die Sakramente empfangen können. Für beide Gruppen sind wir als Kirche da. Und es ist keine Kategorie von „Besser“ oder „Schlechter“, wenn man sich eher zu den einen oder zu den anderen zählt.
Es gilt allerdings folgendes zu bedenken:
Die Zeit, in der wir nur mit Einschränkungen werden Gottesdienste feiern können, wird vermutlich noch so lange dauern, bis es einen Impfstoff gegen Corona gibt. Das kann noch Monate dauern. Deshalb ist es für mich schwer verständlich, wenn jetzt Pfarrer oder sogar Bischöfe meinen, es nicht verantworten zu können, trotz der Lockerungen Messe zu feiern, vielleicht weil sie dann ihr ganz persönliches, sicher gut begründetes Empfinden zum allgemeinen Grundsatz für alle erheben.
Sicher gibt es den herzkranken Pfarrer, der in der jetzigen Lage nicht die Eucharistie feiern möchte. Das gilt es zu respektieren. Dafür wird es in den Gemeinden auch Verständnis geben. In allen anderen Fällen gilt es zu schauen, wie wir auch unter diesen besonderen Umständen würdig die Eucharistie feiern können.
Dabei werden wir lernen müssen, wie das geht. Eine Kommunionausteilung mit der Zange gehört für mich z. B. nicht dazu (und ist auch meines Erachtens aus gesundheitlichen Gründen nicht notwendig). Wir werden bei der Gestaltung Fehler machen und diese im Laufe der Zeit korrigieren. Aber wir dürfen uns trotz allem doch freuen, dass wir wieder in Gemeinschaft dem Auftrag Jesu nachkommen können.
Deshalb ist das Gebot der Stunde ein altbekanntes katholisches Prinzip: „et … et“ – „sowohl als auch“: für all jene, die es schätzen, auch unter Einschränkungen die Messe zu feiern und dies voller Freude tun; und für all jene, die sich damit schwer tun, Gottesdienste nur digital mitzuerleben. Und für beide Gruppen gilt: das Gebet in den Häusern und Wohnungen zu fördern.
Direktor Michael Maas
Leiter des Zentrums für Berufungspastoral, Freiburg
Foto: Abendmahlszene – Friedhof Mailand © Hubertus Brantzen