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Udo Bentz

Das, was ankommt, ist oft nicht das, worauf es wirklich ankommt 

Ein neues Parlament konstituiert sich

25.10.2017

Seit gestern haben wir einen neu konstituierten Bundestag. Es ist der 19. Deutsche Bundestag und der mitgliederstärkste seit Bestehen der Bundesrepublik. 709 Abgeordnete mit sechs Fraktionen sitzen in unserem Parlament, darunter auch Fraktionslose. Manche hat das Wahlergebnis überrascht, andere auch erschreckt. Was von den Wahlversprechen ehrlich und was eher ein – vielleicht auch bewusster – „Versprecher“ war, wird sich in den kommenden vier Jahren zeigen. Und man wird sehen, wie konstruktiv die Abgeordneten arbeiten – immer im guten Sinn kompromissbereit zum Wohl der Allgemeinheit.

Mit diesem Ziel vor Augen braucht es Debatten und Kontroversen. Sie sind aber kein Selbstzweck. Da erinnere ich mich an ein Wort aus der Bibel: „Verkünde das Wort, tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht; weise zurecht, tadle, ermahne, in unermüdlicher und geduldiger Belehrung.“ (2 Tim 4,2). Natürlich ist mir klar, dass das Parlament kein Ort für Predigten ist. Und umgekehrt: die Predigt in der Kirche ist keine Debatte. Alles hat seine Zeit. Alles hat seinen je eigenen Ort.

Ich wünsche mir von den Abgeordneten, dass sie – weil ihrem Gewissen verpflichtet – das sagen, was notwendig ist. Ich wünsche mir, dass sie so etwas auch mal jenseits des Fraktionszwangs und des Erwartbaren wagen. Und ich wünsche mir auch, dass gerade diejenigen Abgeordneten, die Christen sind, das auch in ihrer Politik deutlich machen: in Solidarität und für Gerechtigkeit, zur Bewahrung der Schöpfung und zum Schutz der Schwächsten, für den Schutz der absoluten Würde einer jeden Person, für Freiheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt, für Frieden – auch weltweit. Ich wünsche mir, dass das Parlament kein Ort für inszenierte Provokationen ist, für platten Populismus, bei dem die Grenzen dessen, was „man sagen kann“ bis ins Unerträgliche ausgereizt werden. Auch für kontroverse Debatten gelten die Regeln guter Kommunikation: Zuhören, zu verstehen versuchen, nachdenken, differenzieren, antworten.

Das, was ankommt, weil es Lacher, Klatscher oder auf der anderen Seite kalkulierte Empörung hervorruft, ist oft nicht das, worauf es wirklich ankommt. Übrigens: Auch fromme Worte allein reichen nicht. Denn es gilt auch das Wort aus dem Matthäusevangelium: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt.“ (Mt 7, 21)

Also bin ich gespannt auf die Debatten in unserem Parlament. Ich hoffe, dass sie fruchtbar sein werden für unser Land und alle Menschen, die hier leben – besonders für die, die Solidarität und Schutz durch gesetzliche Regeln brauchen, weil sie im Konzert und manchmal auch der Kakophonie der schrillen Stimmen unterzugehen drohen. Dafür stehen 709 Abgeordnete, die von den Bundesbürgern gewählt wurden; 709 Politiker mit unterschiedlichen Ansichten, aber dem Gemeinwohl verpflichtet – als gute Vertreterinnen und Vertreter des ganzen Volkes und nicht nur weniger. Ihnen wünsche ich Gottes Segen dazu.

Weihbischof Dr. Udo Markus Bentz, Mainz


Foto: Hubertus Brantzen

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