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Christian Hennecke

Pure Provokation

zum 25.12.2019

Weihnachten ist eine pure Provokation. Eine absichtliche politische Provokation. Und keiner merkt es. Wenn Religion nur private Frömmigkeit ist, wenn es um einen welt- und geschichtslosen lieben Gott geht – oder wenn falsche Gottesbilder ins Spiel kommen, Pantokatoren wie Trump und Putin sich in Gottesvorstellungen durchsetzen, oder Gott ein fordernd moralisches Wesen ist, dann übersieht man diese Provokation

Das alles aber ist keine Frohe Botschaft für die Welt. Zum Glück hat es mit dem Gott von Weihnachten nichts zu tun. Lukas, der Evangelist, dessen Erzählung wir routiniert kennen und hören, hat diese Provokation auf die Spitze getrieben. Er berichtet ausführlich von Jesu Geburt im weltpolitischen Kontext einer einmaligen Ausnahme des Weltfriedens: Die „pax romana“ des Augustus wird ausführlich beschrieben und gewürdigt, aber dann ist es überraschend, dass mitten in diesem prekären machtpolitischen Gleichgewicht die christliche Botschaft genau jene des Friedens ist: eine Zusage, ein Zuspruch, eine wirkungsvolle Inszenierung des Himmels, dessen Wirkkraft angekündigt wird durch Engel. Das stellt Lukas dieser Inszenierung purer römischer Gewalt, die Frieden schaffen soll, gegenüber.

Und all das geschieht in den prekären Verhältnissen von Hirten, den Allerletzten eines unterworfenen Volkes, in einem von den Römern geknechteten Landstrich, der wirklich Hinterland und Nirgendwo ist: Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade.

Es ist genau das Gegenteil von dem, was wir auch heute hypen: die Macht, den Einfluss, die Bewegungen, die machtvoll auf Veränderung drängen, die Influencer, die Medienmacht der Twitterpäpste, die geheim-öffentliche Macht des Geldes.

Diese weihnachtliche Provokation durchzieht alle Evangelien: das Wort, das unerkannt mitten im Dunkel seinen Weg geht (Johannes), die Ahnenreihe, die die Gebrochenheit und Zerbrechlichkeit der Menschheitsgeschichte bezeugt (Matthäus), oder eben die groteske politische Einordnung der Geburt Jesu im Machtspiel römischer Potentaten.

Das muss uns zu denken geben. Uns allen, aber zuerst uns Christen. Denn wir sind dabei, uns von diesem Zeitgeist manipulieren zu lassen. Wir zählen, wie viele wir sind, beklagen geringere Einflussmöglichkeiten bei den Großen unserer Zeit, verwundern uns über säkulare Gesellschaften, die das Christliche abstreifen oder nie gekannt haben – und in allem schauen wir auf die Möglichkeit, (endlich) wieder in der Mitte zu stehen, bedeutend zu sein in Zeiten des Bedeutungsverlusts und Untergangs einer uns bekannten christlichen Gestalt.

Aber was hat das mit diesem Evangelium zu tun? Eben (leider) nichts. Hingegen dürfen wir neu glauben lernen und hoffen: auf das Geschenk des Friedens, einem Frieden, den diese Welt nie geben kann, weil er nicht mit Machtgebrauch und Machtmissbrauch zu tun hat, sondern ein pures Geschenk ist. Ein Friede, der überall dort beginnt, wo zwischen Menschen ein Raum der echten Begegnung geöffnet ist, wo echtes Interesse füreinander stattfindet, echte Liebe zueinander ist. Da wird im Übermaß echter Friede geschenkt.

Das Erstaunlich-Nichterstaunliche ist doch: Danach sehnen sich alle. Das ist nämlich das Evangelium, das in unsere Beziehungen eingestiftet ist und Frieden möglich macht. Nicht als machtvolle Demonstration der Überlegenheit einer pax romana, sovjetica, americana oder terroristica, sondern als erfüllte Zeit. Allerdings: sie findet eher unbeachtet statt – und ist doch die Seele der Welt: in Bethlehem, auf Samos, in Syrien oder in einem Gefängnis. Auf Weihnachtsmärkten, in Wohnzimmern, in Gottesdiensten. Diese Provokation ermöglicht Neuanfang für jeden, und gerade auch für die Unbeachteten.

 

Dr. Christian Hennecke – Hildesheim

Foto: pixabay.com

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