Hubertus Brantzen
Die Präsidentin
17.07.2019
Ursula Gertrud von der Leyen, geb. Albrecht, 60, Dr. med., nimmt am 1. November 2019 für fünf Jahre ihre Aufgaben als Präsidentin der Europäischen Kommission auf. Nach ihrer Nominierung durch den Europäischen Rat hat das Europaparlament sie mit der knappen Mehrheit von neun Stimmen zur obersten Repräsentantin der Europäischen Union gewählt.
Ihre Befähigung, dieses Amt auszuüben, wurde in der kurzen Zeit ihres „Wahlkampfes“ hinreichend in der Weltöffentlichkeit gewürdigt, im Gegenzug ihre angebliche Unfähigkeit besonders von deutschen Polit-Kolleginnen hervorgehoben. In ihrer letzten großen Rede vor der Wahl trat sie unter anderem für ein Europa der Werte ein.
Was aber sind ihre Werte – nicht ihre proklamierten, sondern nachweislich gelebten? Hier seien drei Lebenswerte von der Leyens genannt, die in der öffentlichen Diskussion, wenn überhaupt, nur am Rande bedacht werden.
Da ist zunächst der Wert ihre große Familie: In der Zeit zwischen 1987 und 1999 bekam sie mit ihrem Mann Heiko sieben Kinder. Immer wieder wurde ihr zum Vorwurf gemacht (etwa in der FAZ bereits 2003), sie inszeniere ihr Privatleben und nutze wie ihr Vater, Ernst Albrecht, der ehemalige Ministerpräsident Niedersachsens, die Aufmerksamkeit des Boulevards zum eigenen Vorteil. Doch einmal ehrlich: Wer unterzieht sich freiwillig sechs Schwangerschaften und Geburten (einmal gab es Zwillinge), wenn nicht aus Überzeugung? Wer nimmt, selbst bei guter finanzieller Ausstattung und Betreuung, die Erziehung von sieben Kindern – und das heißt beispielsweise auch sieben Mal Pubertät aushalten – auf sich, wenn nicht aus Überzeugung – und Liebe?
Da ist ferner der Wert ihrer christlichen, evangelisch-lutherischen Religionszugehörigkeit. Nun ist es in unserer Gesellschaft nicht mehr üblich, über praktizierten Glauben zu sprechen. Sehr schnell wird der Verdacht beschworen, dass die Kirchen zu viel Macht im Staate besäßen. Wer dazu steht, dass es zu Hause ein Tischgebet gibt, der wird sehr schnell in die fundamentalistische Ecke religiöser Eiferer gestellt (Spiegel 2006). Seither hält sich von der Leyen mit öffentlichen Äußerungen zu ihrer religiösen Überzeugung eher zurück.
Und da ist der Wert ihres ursprünglichen Berufs: Sie absolvierte 1987 ihr Staatsexamen in Medizin, erhielt die Approbation als Ärztin, war Assistenzärztin in einer Frauenklinik, promovierte 1991 zum Dr. med. Ihre Facharztausbildung brach sie nach der Geburt ihrer Zwillinge 1994 ab. Nach einem Aufenthalt in Kalifornien aufgrund der Berufstätigkeit ihres Mannes war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Medizinischen Hochschule Hannover in der Abteilung Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung und erwarb den akademischen Grad des Masters of Publik Health.
In der breiten Medienlandschaft wurde über ihre Fähigkeiten, Tätigkeiten, Einstellungen und Konzepte kontrovers diskutiert, auch über ihren Ehrgeiz, sich in diesem Amt zu bewähren. Kaum ein Wort wurde über diese Werte verloren.
Meine Meinung: Neben Fach- und kommunikativer Kompetenz bedarf es ein gerütteltes Maß an Selbstbewusstsein, Ehrgeiz und Durchsetzungswillen, um in das Amt der Präsidentin eines Kontinents zu gelangen. Diese Eigenschaften besitzt Ursula von der Leyen. Es ist für mich eine gute Vorstellung, dass dieses Amt nun von einer Frau verwaltet wird, die das kleinteilige Leben und die Sorgen einer Familie existentiell erlebt, die Sorge für das Wohlergehen der Menschen als Beruf gewählt hatte und weltanschaulich auf einem klaren Fundament steht. Wir werden sehen.
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