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Kundschafter bringen Traube

Ludger Schepers

Wüstenwanderung oder Gelobtes Land

30.03.2022

Ich weiß nicht mehr, wann genau mir die Textstelle aus dem Buch Numeri (13,1-14,45) in den Sinn gekommen ist. Es muss wohl aber vor dem Jahr 2006 gewesen sein, als mir als Pfarrer im Duisburger Süden alle ehemals 13 selbständigen Pfarreien zu einer Pfarrei anvertraut wurden. In vorbereitenden Gesprächen ging es darum, wie wir dieser Situation begegnen könnten. Aus unterschiedlichen Gründen war die Neugründung seitens des Bistums angesagt und ich hatte mich entschieden, mich aus 16-jähriger Kenntnis der Verhältnisse vor Ort dieser Aufgabe zu stellen.

Im Text aus dem 4. Buch der Bibel wird erzählt, wie das Volk Israel am Ufer des Jordan vor dem Übergang in das verheißene „Gelobte Land“ steht. Lange Jahre der Wanderung in der Wüste liegen hinter ihm. Es gab Glaubensabfall, den Bau eines goldenen Kalbes und viel Murren des Volkes über erlittenen Hunger und Durst, Zweifel, ob Jahwe wirklich da ist. In einer Versammlung wird entschieden, erst einmal Kundschafter loszuschicken, was das Volk denn dort auf der anderen Seite erwarten könnte. Die Kundschafter kommen mit einer Riesentraube zurück und berichten von Milch und Honig, mithin schönen Aussichten für die Zukunft. Das Volk Israel berät Für und Wider des Übergangs. Bedenkenträger behalten aber letztlich die Oberhand und das Volk entscheidet sich, nicht hinüberzugehen. Der Glaube an Gottes lebendige Gegenwart und seinen Schutz auch in schwierigen Situationen unterliegt. Man vertraut Jahwe nicht, trotz vieler positiver Erfahrungen seit dem Exodus aus Ägypten. Erst eine neue Generation werde den Mut finden zum Übergang.

Meine Erfahrung von damals, den neuen Wegen zu vertrauen, finden sich wieder in einem Lied: „Vertraut den neuen Wegen“ (Evangelisches Gesangbuch 395).

Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist,
weil Leben heißt: sich regen, weil Leben wandern heißt.
Seit leuchtend Gottes Bogen am hohen Himmel stand,
sind Menschen ausgezogen in das gelobte Land.

Vertraut den neuen Wegen und wandert in die Zeit!
Gott will, dass ihr ein Segen für seine Erde seid.
Der uns in frühen Zeiten das Leben eingehaucht,
der wird uns dahin leiten, wo er uns will und braucht.

Vertraut den neuen Wegen, auf die uns Gott gesandt!
Er selbst kommt uns entgegen. Die Zukunft ist sein Land.
Wer aufbricht, der kann hoffen in Zeit und Ewigkeit.
Die Tore stehen offen. Das Land ist hell und weit.

Text: Klaus Peter Hertzsch 1989

Das Volk Gottes wurde auch nach dem Übergang in das neue Land nicht vor Rückschlägen, Widerstand, Wut und dem Nicht-Können bzw. -Wollen bewahrt. Auch uns, die wir mit den neuen Gegebenheiten umzugehen lernen mussten, war klar, so wie bisher kann es nicht weitergehen. Also wagten wir im Vertrauen auf Gottes Beistand den Weg in die Zukunft. Auch uns erging und ergeht es wie dem Volk Israel damals. Vor Zweifel, Widerständen und Rückschlägen wurden und werden auch wir nicht bewahrt.

Bewusst habe ich deshalb in meinem Bischofsstab die Kundschafter mit einer großen Traube versehen lassen. Beim Dialogforum der Ordensleute im Bistum Essen vor einigen Wochen sahen alle, wie sehr es notwendig ist, sich mit dem Synodalen Weg und seinen Themen intensiv zu beschäftigen. Hat das überhaupt einen Sinn angesichts vieler Erfahrungen in der Vergangenheit, dass sich vieles doch nicht ändern will bzw. verändern lässt?

In der derzeitigen Situation unserer Kirche und im Blick auf den Synodalen Weg habe ich die anfangs genannte Schriftstelle aus dem Buch Numeri immer vor Augen.

So wie bisher kann es mit der Kirche nicht weitergehen. Ich will nicht den Zölibat oder das sakramentale Amt abschaffen. Aber ich möchte, dass es in meiner Kirche evangeliumsgemäßer zugeht. Ich denke dabei an Transparenz und Rechenschaftspflicht, was unsere Macht als Bischöfe angeht, eigentlich ist es ja ein Dienst. Ich denke an die Fragen der Berufung und der Zulassung (auch von Frauen) zum sakramentalen Ordo und wie er heute gelebt werden kann. Diese Fragen müssen angesichts vieler neuer Erkenntnisse z. B. in der Exegese, dass Liebe in gelingenden Beziehungen nicht allein auf das Sakrament der Ehe und die Zeugung von Nachkommenschaft begrenzt wird, ohne Angst angesprochen werden können.

Ich möchte, dass die Botschaft Jesu nicht nur in den Köpfen ist, sondern mit dem Herzen gelebt wird, dass mit seiner Barmherzigkeit die Liebe Gottes spürbar, erfahrbar, aufrichtend wirkt. Salus animarum, das Heil der Seelen ist Richtschnur des kirchlichen Gesetzbuchs (CIC).

Ich möchte, dass wahr wird, was im Konzilsdokument „Gaudium et spes“ steht: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger [und Jüngerinnen] Christi.“

Angekommen sind wir sicher noch nicht im Gelobten Land, aber jede und jeder zählt, die/der sich im Glauben an Gottes Beistand, den Heiligen Geist, auf den Weg macht.


                              Bischofsstab Weihbischof Schepers, Essen – Foto: Marie-Luise Langwald

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