Alle Jahre wieder
Weihnachten als Einladung zur Neu-Verortung
von Ulrich Emge
Vor über 2000 Jahren machten sich auf Befehl der Regierung hin Menschen auf den Weg in ihre Geburtsstadt. Genau auf diesem Weg kam Gottes Sohn in die Welt. Und heute machen sich auf der ganzen Welt zu Weihnachten Menschen wieder auf den Weg in ihre Heimat, um dieses Ereignis zu begehen.
Zu Weihnachten in die Heimat zu fahren ist für viele ein Bedürfnis. Zeit mit den Eltern, Geschwistern und der Großfamilie zu verbringen, sich gegenseitig zu beschenken, sich auszutauschen gehört auch für mich an Weihnachten einfach dazu. Und ja, es ist „alle Jahre wieder“ eine echte organisatorische Herausforderung, die Bedürfnisse nach Besinnlichkeit, Festlichkeit, einer Atmosphäre familiärer Geborgenheit und zur Ruhe zu kommen in der eigenen Familie, der Herkunftsfamilie und der Schwiegerfamilie unter zu bekommen – und das innerhalb von drei Tagen! Warum tun wir uns das an? Ich bin mir sicher, das fragen sich auch viele andere.
Muss Weihnachten immer harmonisch sein?
Familienidylle ist sicher nicht die ursprüngliche Botschaft von Weihnachten. Das würden Maria und Josef sofort unterschreiben. Die Geburt Jesu erlebten sie nicht zuhause in einem perfekten kuscheligen Familiennest, sondern als regelrechte Odyssee, geprägt von Zurückweisung, Unsicherheit und Angst. Und schließlich wurde bloß ein armseliger Stall zur bestmöglichen Notlösung für die Niederkunft Marias. Ist es nicht faszinierend, dass Gott ausgerechnet in einem solchen Durcheinander zur Welt kommen will? Und ich frage mich gleich weiter: Ist das heute denn so viel anders?
Da prallen Familienmitglieder voller hoher Erwartungen aufeinander. Man hat sich diese Zusammenkunft ja etwas kosten lassen: durch aufwändiges Schmücken der Häuser und Gärten, stundenlange Fahrten, ausgeklügelte Speisefolgen, mit Liebe gebackene Plätzchen, sorgsam ausgesuchte Geschenke, das Zurückstecken eigener Bedürfnisse zugunsten der Familie. Ein falsches Wort oder ein nicht so begeisterter Blick über ein mit Herzblut gewähltes Geschenk kann da ausreichen, und die schöne Weihnachtsstimmung ist dahin. Es gibt mittlerweile ernstgemeinte psychologische Ratgeber dafür, wie man die Familienzusammenkunft zum Fest bestmöglich meistern und größere Konflikte umschiffen kann. Das impliziert ja nahezu: Nur wenn wir die Feiertage einigermaßen harmonisch hinkriegen, haben wir wirklich was von Weihnachten.
Da finde ich es befreiend, dass Gott für sein Weihnachten, sein Kommen in die Welt überhaupt keine Ansprüche stellt – weder damals noch heute, weder äußerlich noch innerlich. Er kommt auch ins größte Chaos in seine „Heimat“, seine Schöpfung, zu den Menschen, die er liebt. Um für sie da zu sein. Manche zieht es vielleicht gerade deswegen an Weihnachten zueinander, um auch füreinander da zu sein: zusammenkommen, damit die älter werdenden Eltern an Weihnachten nicht alleine sein müssen; Geschwister und Verwandte treffen, weil nun mal alle gleichzeitig frei haben und wir uns viel zu selten sehen.
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