Alles wirkliche Leben ist Begegnung
von Lothar Penners
„Momente, die prägen – eine Spiritualität der Begegnung – danach fragt „basis“ in dieser Ausgabe. Unter diesen dürfte „Begegnung“ die zentrale Achse sein – wenn es denn um die Beziehung von Ich und Du geht; wenn nicht gar – die zentrale Theses Martin Bubers -, dass es kein Ich gebe, wenn es nicht an einem Du seinen Ursprung habe.
Was aber ist „Begegnung“?
Und gibt es diese womöglich in verschiedenen Formen?
Es scheint, dass es Begegnungen auf verschiedene Weise gibt. Offensichtlich kennen sowohl Alltagserfahrung wie Sprachgebrauch das Wort „Begegnung“, ohne dass es dabei um tiefere, existentielle Widerfahrnisse geht; etwa, man „begegnet“ einem Bekannten, den man schon seit jeher kenne; man halte dies und jenes für möglich, wenn es denn tatsächlich vorkommen sollte: „Begegnungen“, die sich knüpfen an „Facts“, an tatsächlich Gegebenes; an das, was einem faktisch nahekommen kann, weil es vorkommend schon gegeben ist.
Bei Martin Buber klingt indessen an, dass es „Begegnungen“ gibt, um die man nicht herumkommt, oder denen man nicht ausweichen kann; denen man sich stellen „muss“ und denen man sich auch stellen will – selbst, wenn sie einen etwas „kosten“ sollten: Begegnungen, die einem vermitteln, was wirkliches Leben ist.
„Du tratest durch die Augen in mich ein und zwangst mich so, mich mächtig auszuweiten“, bekennt Michelangelo in einem seiner Sonette an Vittoria Colonna, einer Frau, die er verehrte und liebte: eine Altersbegegnung, die dem bildenden Künstler, der eine „Welt“ aus Marmor und Farbe hervorgebracht hatte, nochmals die Augen öffnete und für neue Dimensionen seiner persönlichen „Welt“ – Erfahrung weitete: – religiös, ästhetisch und moralisch, die er in der Persönlichkeit dieser Frau aufscheinen sah.
Kein „Ich“ ohne sein „Du“
Es gibt Begegnungen, die unser menschliches Dasein schicksalhaft angehen und prägen. Sie sind der Kern des „wirklichen“, individuellen Lebens; und zwar jedwedes Menschenlebens, nicht beschränkt auf einzelne Bereiche oder Parzellen der menschlichen Kultur.
In ihnen realisiert sich unser menschliches Dasein aus dem, was Buber das „dialogische Prinzip“ genannt hat: es gibt kein Ich ohne Du; es gibt kein Ich ohne sein Du, muss es zutreffender heißen; an dem es entspringt; denn es geht um ein konkretes Ich und ein konkretes Du.
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Beitragsfoto: © Andrii Zastrozhnov · stock.adobe.com