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Altersbilder – drittes und viertes Lebensalter 

Altersbilder – drittes und viertes Lebensalter 

Eine gerontologische Einordnung 

von Kathrin Bieler 

»Ich sehe das hohe Alter als das letzte Abenteuer des Lebens. Dieses Abenteuer mit Würde durchstehen zu können, wird eine der größten individuellen und gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sein.« (Paul Baltes) 

»Altersbilder« sind eine Vorstellung davon, wie ältere Menschen sind oder sein sollten. Diese Art von Bildern entsteht immer im Wechselspiel zwischen den Mitgliedern einer Gruppe, hier der älteren Menschen und der Gesellschaft. Problematisch werden Altersbilder dann, wenn sie verallgemeinert werden und für die Wahrnehmung und Anerkennung der vorhandenen Vielfalt kein Raum bleibt. Für alle, die sich mit Fragen des Alters und des Alterns befassen oder die mit der Begleitung älterer Menschen betraut sind, ist es wichtig, die eigenen Altersbilder zu kennen und kritisch zu hinterfragen. Die Gerontologie beschäftigt sich mit dem Alter und dem Altern. Es geht um das Verständnis im Alterungsprozess des Menschen, den Bedingungen für ein gesundes, zufriedenes Altern und um die Entwicklung von Maßnahmen bzw. Konzepten, die den Bedürfnissen älterer Menschen entsprechen und letztlich um Faktoren, die zu einem gelingenden Lebensalter und zur Lebenszufriedenheit in der letzten Lebensphasen beitragen können. 

Einteilung der Lebensphase Alter in das dritte und vierte Lebensalter

Altersbilder sind gesellschaftliche und individuelle Vorstellungen von älteren Menschen und vom Alter und Altern. Diese Bilder können eher positiv (Weisheit des Alters) und eher negativ (der senile Greis) sein. Solche Stereotypen können unser Verhalten älteren Menschen gegenüber beeinflussen. 

In unserer Wohlstandsgesellschaft werden immer mehr Menschen immer älter – und gewinnen im „jüngeren“ Alter auch an Lebensqualität. Je älter Menschen werden, desto klarer offenbaren sich im hohen Alter die Grenzen der menschlichen Biologie. 

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) arbeitet mit der folgenden Definition der Lebensalter: 

  •  61 – 75 Jahre: ältere Menschen 
  •  76 – 90 Jahre: alte Menschen oder Hochbetagte 
  •  91 Jahre und älter: sehr alte Menschen oder Höchstbetagte 

Der Hintergrund für solche Definitionen sind Einteilungen nach Altersphasen wie die von d’Epinay: selbständiges Rentenalter, Phase verstärkter Gebrechlichkeit und eine Phase ausgeprägter Pflegebedürftigkeit mit hirnorganischen Störungen und/oder körperlichen Gebrechen. In den westlichen Industrienationen wird in das sogenannte dritte und vierte Lebensalter, also in zwei verschiedene Lebensabschnitte, unterteilt

Das dritte Lebensalter – mit 60 ist man noch nicht alt 

Das dritte Alter beginnt mit dem 60. Lebensjahr. Es ist nach Kindheit, Jugend und Ausbildung sowie Familien- und Erwerbs-phase der Lebensabschnitt der nochmaligen Neuorientierung im Leben und der Vorbereitung auf eine, so hoffen viele, gelingende oder erfolgreiche „Vierte Lebensphase“: die Hochaltrigkeit. 

Diese dritte Phase ist in unserem Kulturkreis geprägt von einem hohen Maß an Sicherheit und Wohlstand, akute lebensbedrohliche Lebenslagen sind in der Regel nicht gegeben, die gesundheitliche Situation und Versorgung, kulturelle und soziale Situationen und Entfaltungsmöglichkeiten sind gegeben. Auf dieses dritte Lebensalter arbeiten Menschen am längsten hin. Wie oft wird davon geträumt, was alles möglich ist, wenn erst einmal das Rentenalter erreicht ist. Und doch treffen die Fragen und Herausforderungen dieser Phase viele Menschen völlig unerwartet: Wo stehe ich heute? Was kann ich richtig gut und was will ich wirklich? Bin ich bereit für noch einmal etwas Neues? Wie will ich leben? Wie kann ich meinem Leben in diesem Abschnitt spürbar einen Sinn geben? Und was brauche ich, um die nächsten Jahrzehnte in Zufriedenheit und relativer Sicherheit zu verbringen? Reicht mein Einkommen im Alter, um mir meinen Lebensstil zu erlauben?

Das vierte Lebensalter – Hochaltrigkeit und zunehmende Abhängigkeit

Beschreiben lässt sich der Übergang vom dritten zum vierten Lebensalter von: erst agil – dann fragil, erst unabhängig – dann abhängig. Der Prozess des Alterns verläuft hin zu einem abhängigen Alter. Dieser dann letzte Lebensabschnitt stellt andere Anforderungen an alte Menschen und an die Begleitpersonen. 

Im vierten Lebensalter nehmen die sozialen, gesundheitlichen und psychischen Belastungen zu. Das vierte Alter beginnt aus demographischer Perspektive heute etwa bei 80 Jahren. Ab diesem Alter steigt das Risiko für chronische Erkrankungen und für das Auftreten mehrerer Krankheiten (Multimorbidität). Funktionale Einschränkungen wie Schwerhörigkeit, Abnahme des Sehvermögens oder der Beweglichkeit sind möglicherweise so weit fortgeschritten, dass eine selbstständige Alltagsbewältigung schwierig wird. Viele Menschen sind im hohen Alter vor die Aufgabe gestellt, die Hilfe anderer anzunehmen. 

Dieser Verlust an Selbstständigkeit erschüttert Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl. Die Belastung ist besonders groß, wenn körperliche Pflege notwendig wird. Damit verbunden sind tiefe Schamgefühle und die Sorge, anderen zur Last zu fallen. Wer dieses Alter erreicht, muss zudem mit großer Wahrscheinlichkeit den Tod nahestehender Menschen bis hin zum Verlust des Lebenspartners bzw. der Lebenspartnerin erleben.

Diese Phase der Hochaltrigkeit kann geprägt sein von einer zunehmenden Pflegebedürftigkeit und damit einhergehend mit einer gewissen Abhängigkeit von anderen hinsichtlich diverser Unterstützungsleistungen. Im vierten Lebensalter offenbart sich unbarmherzig die biologische Unfertigkeit des Menschen – und derzeit spricht wenig dafür, dass ein solch hohes Alter zu einem „Goldenen Alter“ des Lebens werden könnte. 

Der Umgang mit Verlusten 

Was im vierten Lebensalter geschieht, kündigt sich schon im dritten Lebensalter an. Erste Einschränkungen der Sinne und körperliche Einschränkungen, zum Beispiel können vom Stuhl aufstehen oder Treppen laufen beschwerlicher werden. Und trotzdem kann man sich auf das vierte Lebensalter weniger gut vorbereiten als auf das dritte Lebensalter. Das Verhältnis von Gewinnen und Verlusten verändert sich im vierten Lebensalter. So überwiegen die Verluste, und der Umgang mit diesen erfordert mehr und mehr Aufmerksamkeit. Am Ende benötigt die Bewältigung des täglichen Lebens alle Kraft. 

Egal in welchem Alter: Lebensqualität und Lebenszufriedenheit 

Lebensqualität ist die subjektive Wahrnehmung einer Person über ihre Stellung im Leben in Relation zur Kultur und den Wert-Systemen, in denen sie lebt und in Bezug auf ihre Ziele, Erwartungen, Standards und Anliegen. Im Alter kommt aber noch ein Aspekt hinzu: Es gilt, die körperliche und geistige Funktionsfähigkeit zu erhalten. Denn wer im Alltag einigermaßen zurechtkommt, hat auch viel mehr Möglichkeiten, einen selbstbestimmten Lebensabend zu verbringen. Vor allem die körperliche Funktionsfähigkeit ist dabei wichtig. Dieser Aspekt geht im Verlauf des vierten Alters mehr und mehr verloren und setzt die Frage nach einem gelingenden Lebensabend in den Fokus. „Lebenszufriedenheit am Lebensende“ bildet hier den Schlüsselbegriff. Lebenszufriedenheit im Gegensatz zur Lebensqualität ist die zum Ausdruck gebrachte subjektive Einschätzung, ob und in welchem Maß eine Person mit den Lebensbedingungen in ihrem Umfeld zufrieden ist (vgl. Gabriel et al. 2015: 104).
Jede Entwicklungs- und damit auch Lebensphase steht laut Erikson für ein bestimmtes Entwicklungsthema, das zunächst zu einer Krise führt. Diese Krise ist nicht unbedingt negativ, sondern steht für die Integration von zwei gegensätzlichen Zuständen. Im Fall des hohen Erwachsenenalterns (die 8. Phase) sind diese Zustände die Ich-Integrität auf der einen Seite und die Verzweiflung auf der anderen Seite: Dieser letzte Lebensabschnitt stellt den Menschen vor die Aufgabe, auf sein Leben zurückzublicken, anzunehmen, was er getan hat und geworden ist und den Tod als sein Ende nicht zu fürchten. Das Gefühl, noch einmal leben zu müssen, vielleicht, um es dann besser zu machen, die Angst vor dem Tod, führen zur Verzweiflung. Setzt sich der Mensch in dieser Phase nicht mit Alter und Tod auseinander (und spürt nicht die Verzweiflung dabei), kann das zur Anmaßung und Verachtung dem Leben gegenüber führen (dem eigenen und dem aller). Wird diese Phase jedoch erfolgreich gemeistert, erlangt der Mensch das, was Erikson Weisheit nennt: dem Tod ohne Furcht entgegensehen, sein Leben annehmen und trotzdem die Fehler und das Glück darin sehen können. (Stangl, 2021). Letztendlich geht es also um Lebenszufriedenheit. 

Kathrin Bieler

Prof. Dr. phil., ist Sozialarbeiterin und Gerontologin und lehrt insbesondere Methoden und Konzepte Sozialer Arbeit an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management.

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Beitragsfoto: © CHW · stock.adobe.com

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