Angenommen, wie du bist
Über die Voraussetzung fast aller Lebensvorgänge
von Elmar Busse
Am Mount Everest gibt es von einer Trekking-Agentur ein Basislager auf 5200 Metern Höhe. Für viele Bergsteiger mit guter Kondition reicht das als Ziel in zwölf Tagesetappen völlig aus. Nur die extremen Bergsteiger nutzen dieses Basislager als Start für die Gipfelbesteigung. Dort ist es sicher. Dort kann man auf besseres Wetter warten. Dort kann man Erfahrungen mit anderen Sportlern austauschen. Von dort aus kann notfalls Hilfe organisiert werden.
Kinder und ihre sicheren „Basislager“
Wenn Kleinkinder anfangen, auf eigenen Beinen die Welt zu erkunden, dann sind der Schoß von Papa oder Mama solche sicheren „Basislager“. Die Pionierin der Bindungsforschung Mary Ainsworth hat ein Experiment mit Videoaufzeichnung entwickelt und in verschiedenen Kulturen (Uganda und Europa) mit demselben Ergebnis durchgeführt und danach die Klassifikation entwickelt:
Es gibt sicher gebundene Kinder. Wenn die Mutter den Raum verlässt, weinen, schreien die Kinder und wollen ihrer Mutter folgen. Sie lassen sich nicht von der Testerin trösten. Bei der Rückkehr der Bezugsperson suchen sie Körperkontakt und wollen zum Beispiel auf den Arm genommen werden. So beruhigen sie sich schnell wieder. Sie nutzen ihre Bezugsperson als sichere Ausgangsbasis, von welcher aus sie den Raum erkunden und auch mit der Testerin in Kontakt treten.
Kinder mit unsicher-vermeidenden Bindungen wirken bei der Trennung von der Bezugsperson unbeeindruckt; sie zeigen ihre Emotionen nicht offen, sondern versuchen jeden Ausdruck zu vermeiden. Bei der Wiederkehr der Bezugsperson ignorieren die Kinder diese. Häufig wird die Testerin der Bezugsperson vorgezogen; sie beschäftigen sich demonstrativ mit dem bereitliegenden Spielzeug.
Unsicher-ambivalente Bindungen zeigen sich dadurch, dass die Kleinkinder sich an die wiederkehrende Mutter klammern, aber auch Wut auf sie haben, weil sie weg war.
Bei chaotischer Bindung zeigen Kleinkinder bizarre Verhaltensweisen wie Erstarren, Im-Kreis-Drehen, Schaukeln und andere stereotype Bewegungen sowie völlige Emotionslosigkeit.
Bowlby und die Bindungstheorie
Dadurch, dass John Bowlby die Bindung als eigenständiges Bedürfnis erkannte und sie nicht – wie Sigmund Freud – allein auf die Sexualität zurückführen wollte, kam es zum Bruch 1952 zwischen Bowlby mit der Psychoanalytischen Gesellschaft in England. Heute ist die Bindungstheorie von Bowlby und Ainsworth unbestritten. …
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