Aufblühen statt austrocknen
Hoffnungsbilder für die Seele
von Klaus Glas
Jasmin M. (49 J.) würde am liebsten – wie eine Maus – in einem Loch verschwinden, als ihr Chef sie beim Mitarbeitergespräch in die Mangel nimmt. Im zurückliegenden Jahr hatte die Mutter zweier Kinder bei der Bank, für die sie tätig ist, zu wenig Produkte verkauft. Auf der Fahrt nach Hause überkommt sie eine Panikattacke: Ihr Herz schlägt bis zum Hals, sie beginnt zu schwitzen und hat das Gefühl, gleich in Ohnmacht zu fallen. Überwältigt von der Flut an Missempfindungen lässt sie ihr Auto stehen und bittet eine Freundin, sie abzuholen und nach Hause zu bringen.
Seit einem halben Jahr ist der Ingenieur bei einer neuen Firma. Der ledige Timo A. (35 J.) hat öfter die Stelle gewechselt – jedes Mal wegen „inkompetenter Vorgesetzter“, wie er sagt. Sein gewissenhafter Persönlichkeitsstil lässt den jungen Mann besonders auf die Fehler bei anderen und die strukturellen Schwächen im System schauen. Seine Stimmung ist oft so schlecht, dass er bisher jede Frau verprellt hat, mit der er eine Beziehung eingehen wollte. Ein Psychotherapeut stellt eine „mittelgradige depressive Episode“ fest. Timo A. selbst beschreibt sein Lebensgefühl so: „Ich kriege keine Richtung in mein Leben, mein Lebensboot dümpelt dahin: einfach nur Flaute.“
Wie ein Bild von mir entsteht
Menschen, die unter Ängsten oder Depressionen leiden, können selten in Worte fassen, wie es ihnen geht. Man kann ihnen aber helfen, indem man behutsam die eine oder andere Metapher anbietet. Wenn der richtige Knopf gedrückt wird, fühlt sich der/ die andere verstanden: „Ja, genauso erlebe ich das!“
Das innere Bild von mir, das sich in einem Lebensgefühl ausdrücken kann, entsteht nicht über Nacht. Um die Wirkung des Seelenbildes auf mein Leben zu verstehen, muss ich weit zurückblicken. Schon vor meiner Geburt gab es Einflüsse, die von meiner Mutter ausgingen. Welchen positiven bzw. negativen Erfahrungen war die Mutter ausgesetzt? War sie seelisch gesund oder hatte sie eine psychische Krankheit? Nahm sie Medikamente ein? Je nachdem, wie diese Fragen zu beantworten sind, kann der Bilderrahmen des Seelenbildes stabil und hochwertig oder instabil und minderwertig sein. Auch der Aufbau des Bildes – was zu sehen ist und was im Vordergrund steht – ist vorgeburtlich festgelegt.
In den ersten drei Lebensjahren erhält das Seelenbild v.a. durch die Eltern seine emotionale Prägung: Sind eher warme oder kalte Farben sichtbar? Wie ist die Wirkung des Seelenbildes auf den Betrachter? Klar ist: Ich werde von Beginn an von anderen wahrgenommen und bewertet. Schneller als mir lieb ist, haben andere ein Bild von mir. Erfahrungen in der späteren Kindheit und Jugend verändern das innere Bild kaum noch: „Diese Einflüsse sind weniger prägend als die vorgeburtlichen und frühkindlichen Einflüsse“, so der Hirnforscher Gerhard Roth.
Wie bei der Freskenmalerei werden bei der Herstellung eines Seelenbildes Persönlichkeits-Pigmente stabil in den Putz des Unbewussten eingebunden. Wollte man das Seelenbild betrachten, müsste man das Museum „Limbisches System“ besuchen. Dieses sitzt tief im Inneren des Gehirns. Wenn sich jemand unbefugt Zugang zu meinem Bild verschaffen will, springt sofort ein Alarmsystem an. Das menschliche Stress-System gehört zum Besten, was das Universum zu bieten hat. Und das ist gut so, denn mein „Selbst“ – so bezeichnen Psychologen das Seelenbild – definiert ganz wesentlich meine Identität als Person. Und diese muss geschützt werden. …
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