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Aufbruch hier – Stagnation da

Aufbruch hier – Stagnation da

Beobachtung aus dem Gemeindeleben 

von Maria Wolff

Corona hat in Deutschland bereits seinen ersten Geburtstag hinter sich, und die Gremien auf allen kirchlichen Ebenen ziehen Resumé über das, was sich bisher abgespielt und entwickelt hat. Es könnte kaum gegensätzlicher ausfallen. 

Teilnahme an Präsenzgottesdiensten

In den meisten Seelsorgeräumen erlebt man eine große Zurückhaltung gerade auch bei aktiven alten und kranken Kirchgängern, die sich oft nicht trauen, jetzt wieder zur Kirche in die Gottesdienste zu gehen. Sie fürchten die Ansteckung und nutzen lieber zu Hause die medialen Möglichkeiten. 

Sie, aber selbst auch solche, die inzwischen wieder die Präsenzgottesdienste besuchen, sagen nicht selten: „Durch Corona nehmen wir sogar öfter als früher an Gottesdiensten teil – halt über den Fernseher und den Computer.“ Diese Möglichkeit hat sich so manchem als eine echte Vertiefung des geistlichen Lebens im Alltag erschlossen. 

Diese Corona-Monate waren für viele aber auch ein willkommener Anlass, ihren gewohnheitsmäßigen Gottesdienstbesuch einschlafen zu lassen. Man fühlt sich ganz wohl auch ohne Frommes. Nicht wenige Personen bleiben jetzt einfach weg. Einzelne kommen zu Gottesdiensten, weil sie einen „Job“ haben, etwa als Ordner. Da gibt es die Beobachtung: Man verrichtet seinen Dienst, nimmt dann aber selbst nicht am Gottesdienst teil. 

Was entscheidet über das Gelingen?

Als weitere Erfahrung berichten Aktive, dass sie in ihrer Gemeinde während dieser Monate ganz gute und viele Möglichkeiten des Gemeindelebens angeboten haben, und diese wurden kaum angenommen. Sie erzählen von ihrer großen Enttäuschung. Die Gründe für solche Misserfolge wären zu erforschen. Was sind die Knackpunkte, an denen sich ein Gelingen und Nichtgelingen entscheidet?

Ein Grund für die Tendenz zum deutlich geringeren Interesse am Gemeindeleben ist sicher auch, dass die echte Begegnung mit den anderen Gemeindemitgliedern kaum möglich ist. Man soll nach dem Gottesdienst nicht zusammenstehen und es zeigt sich, dass damit etwas Wesentliches ausfällt. Auch die Gruppenzusammenkünfte entfallen und die digitalen Möglichkeiten ersetzen atmosphärisch nicht wirklich, was sich bei realen Treffen abspielt. 

Echte Begegnung der Gemeindemitglieder untereinander ist offenbar ein starker Motivationsfaktor. Da, wo Bindungsnetze vor und in den vergangenen Monaten nicht oder kaum gepflegt wurden, sind Wegbrüche im aktiven Gottesdienst- und Gemeindeleben mit Händen zu greifen.

Wo das Gemeindeleben blüht

Und gleichzeitig gibt es Gegenbeispiele – Gemeinden, in denen passende Möglichkeiten gefunden wurden, das Beziehungsnetz untereinander und um Christus herum zu halten, zu festigen und in neue Formen zu bringen. 

  • Online-Gottesdienste aus der eigenen Pfarrkirche mit lebensnahen Predigten und Impulsen
  • gelungene Anregungen zur geistigen Kommunion
  • Gesprächsangebote von Seiten der Hauptamtlichen
  • Stationswege auf dem Gemeindegebiet in besonderen liturgischen Zeiten
  • aktive Kontaktaufnahme untereinander kreuz und quer
  • persönlich daheim vorbei gebrachte Segenstüten und Angebote für Hausliturgien 
  • gute Pfarrbriefe und lebendige Homepages
  • Online-Aktivitäten für Kinder und Jugendliche. 

All das hat in einzelnen Gemeinden Erstaunliches bewirkt und hervorgebracht. Da hört man dann auch die Erfahrung: „Unser Gottesdienstbesuch ist jetzt nach dem strengen Lockdown wieder wie vorher.“ Oder sogar: „Bei uns bekommt die Beichte momentan neuen Zulauf, und zwar auch von jüngeren Personen her. Die Corona-Monate haben bei einigen eine neue geistliche Vertiefung gebracht.“ Die Beichte ist sicher nicht der neue Mega-Trend. Aber diese Erfahrung macht deutlich: das kreative, bei den Akteuren geistlich motivierte Weiterknüpfen des Beziehungsnetzes und die attraktive, lebensnahe Inspiration zur inneren Vertiefung in neuen ungewöhnlichen Formen scheinen zentrale Wachstumsfaktoren für Gemeinden in Krisenzeiten zu sein. 

Christliches Leben daheim in der Familie

„Durch Corona haben wir in unserer Familie wieder angefangen zu beten.“ Aus besagten kreativen Gemeinden und aus Bewegungen ist auch dies eine nicht selten geäußerte Erfahrung. Es scheint also möglich zu sein, in solch einer Krisenzeit nicht zwangsläufig in eine Abwärtsspirale zu geraten, sondern neues Leben entsteht. Eine Tür geht durch Beschränkungen zu – und das führt zu vielen Schwierigkeiten – aber: eine andere (bisher übersehene?) Tür geht auf.

Kürzlich las ich in einem Vortrag für Familien: „Ich glaube an die heilige, katholische und apostoliche Hauskirche.“ 

So etwas entsteht nicht von allein. Wir haben in unseren christlichen Familien viele Traditionsabbrüche – und nicht alle Traditionen aus vergangenen Zeiten berühren heutige Menschen. Es braucht einfühlsam Neues und das wiederum Pflege.

  • Ob in einer Gemeinde Neuaufbrüche möglich sind, hängt vielleicht auch davon ab:
  • ob in einer Gemeinde mit Mitgliedern und Familien persönlicher Kontakt gepflegt wird, so dass erlebt wird: Ich gehöre mitten hinein. „Die kennen und sehen uns.“
  • ob die Gemeinde als „Familie“ erlebt wird – mit einem strategisch, kreativ zusammenarbeitenden Seelsorgeteam – auf Augenhöhe mit Pfarrgemeinderat und Gruppierungen mit ihren verschiedenen Gaben. 
  • ob Beteiligungsmöglichkeiten angeboten werden: an Aktionen im Freien mitzumachen, oder die Homepage mitzugestalten, usw.
  • ob in den Gottesdiensten echte Deutung des momentanen Lebens und konkrete Anregungen zur (auch geistlichen) Lebensgestaltung passieren. 
  • ob ein Grundklima der Freude und des Aufbruchs vor Ort erlebbar ist.

Orte der christlichen Zukunft

Wir kennen es aus Familie, Firma und allen Lebensbereichen: Die Grundstimmung ist die halbe Miete. Auch von daher erklärt sich so manche Gleichzeitigkeit von Aufwärts- und Abwärtstrend in unserer kirchlichen Landschaft. 

Mir geht es jetzt nicht um eine grundätzliche Abwehr kirchlicher Reformen. Ehrfürchtige Offenheit sollte wesentlich zur guten kirchlichen Kommunikation gehören. Dennoch muss die Beschäftigung mit den öffentlichen Reizthemen nicht zwangsläufig die Grundstimmung in einer Gemeinde ausmachen, denn das Weh und Ach unserer Kirchen vor Ort hängt möglicherweise nicht einfach nur von diesen heiß gehandelten Themen ab. Und wie man inzwischen weiß: Vieles davon juckt einen Großteil der Katholiken sogar gleich null. Möglicherweise sind andere Faktoren für die Gemeindeentwicklung wesentlich entscheidender. 

Etwa die Frage: Welcher Selbstprophezeiung folgen wir?

Arbeiten wir uns an der Wahrnehmung ab: „Alles geht den Bach hinunter – und die Kirche ist schon wieder etwas leerer und jetzt auch noch diese neue Stellungnahme aus Rom und die ganzen Skandale. Das kann ja nur den Untergang bringen. Die Kirche macht alles falsch, was irgendwie falsch zu machen geht. Und der Pfarrer, die hauptamtlichen Schlafmützen – das kann man ja alles vergessen. Unsere Kinder wollen auch nicht mehr.“ Das mag da und dort alles stimmen. Aber wenn das unser Zukunftsbild bestimmt, wird es sich möglicherweise auch so bestätigen.

Eine Alternative:

 Da gibt es in uns eine Grundüberzeugung: „Gott geht mit seiner Gemeinde als Bundespartner einen Weg. Er ist der Herr unseres persönlichen Lebens, des Lebens unserer Kinder und dieser Gemeinde und geht mit. Wir suchen die Türen, die ER uns aufmacht und arbeiten für ein Leben mit IHM und aus seiner Kraft. Dunkelheit, Kreuz, Auferstehung, Pfingsten – das alles gehört zu unseren Erfahrungen – und ER gibt uns Zukunft. Er beruft die Menschen mit ihren Gaben und Charismen, die wir brauchen.“

Ich habe ganz stark den Verdacht, dass die Selbst-Prophezeiung einer Gemeinde wesentlich über ihre Zukunft mit entscheidet.

 

Maria Wolff

Institut der Schönstattfamilien, Mitglied der basis-Redaktion.

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