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Betlehem und Gottes heilvolle Geschichte mit den Menschen

Geburtskirche in Betlehem

Betlehem und Gottes heilvolle Geschichte mit den Menschen

von Hubertus Brantzen

Für Christen ist Ostern das wichtigste Fest im Laufe des Kirchenjahres, denn nur von der Auferstehung Jesu her ist das Neue Testament und der Glaube der Christen zu verstehen. Genau so richtig ist aber, dass Weihnachten als das emotionalste Fest gefeiert wird. Sogar für Menschen, die mit Glaube und Kirche nichts am Hut haben, ist Weihnachten als Fest der Familien mit geschmücktem Weihnachtbaum und Weihnachstliedern fester Bestandteil des Jahres. Spätestens im Oktober beginnen die Kaufhäuser, sich auf das Fest einzustellen. Und wenn es nicht den Verkauf fördern würde, würden sie bestimmt statt Weihnachtsliedern Helene Fischer oder Howard Carpendale durch die Lautsprecher erklingen lassen.

Mitten in dieses Treiben hinein gehört das Zauberwort „Betlehem“. In vielen Kaufhäusern und erst recht auf den Weihnachtsmärkten, auf die wir in diesem Jahr leider wegen der Corona-Pandemie verzichten müssen, werden Szenen nach der Geburt Jesu im Stall von Betlehem dargestellt.

Wer stellt zu Hause Krippen auf?

Vor etwa zehn Jahren stellte eine Online-Umfrage des offenen Portals „openPR“ fest: Die Hälfte der Deutschen stellen zu Hause ein Krippe auf. Katholische Christen schmücken zu 70 Prozent, evangelische zu 52 Prozent ihr Advents- und Weihnachtszimmer mit einer Krippe. In Bayern sind es zwei Drittel, in Baden-Württemberg wie im Bundesdurchschnitt die Hälfte, im restlichen Deutschland 41 Prozent. Je mehr Personen in einem Haushalt wohnen, desto eher wird eine Krippe aufgestellt. Interessant: Diese Zahlen gelten altersunabhängig. Den Jungen ist sie genauso wichtig wie den Älteren.

Man fragte auch, welche Figuren zu einer Krippe gehören. Für alle gehören Jesus, Maria und Josef dazu, gefolgt von den drei Königen. Ochs und Esel sind offenbar auch sehr beliebt, dann abgestuft die Hirten, Schafe und andere.

In diesem Jahr ist die Krippe zu einem Politikum geworden. Die Gemeinde des Ulmer Münsters gab bereits im Oktober bekannt, sie werden die Drei Könige im Blick auf die gegenwärtige Rassismus-Debatte nicht aufstellen. Der schwarze König des Münsters errege Ärgernis. In der Tat sieht der König des Ulmer Münsters eigenartig aus. 

Der Sinn der Krippendarstellungen

Die Rassismus-Diskussion am schwarzen König aufzuziehen ist insofern positiv, als dass die Krippe den Deutschen offenbar wichtig ist. Mit der Krippe lässt sich Politik machen. Dennoch sollten wir an dieser Stelle laut rufen: Halt! Um was geht es hier überhaupt? Ist das Geschehen von Betlehem nur noch Projektionsfläche für tagesaktuelle Diskussionen? Unter welchen Perspektiven möchten wir die Krippen anschauen?

Um den Sinn von Betlehem zu beschreiben, eignet sich gerade der König mit dunkler Hautfarbe ausgezeichnet. Das Kind, das in dem ärmlichen Stall von Betlehem geboren wird, ist nicht nur ein Retter, Messias und König für das Volk Israel, sondern für alle Völker der Erde. Wenn Gottes Heil für alle Menschen anbricht, dann gelten das Heil, seine Gnade, seine frohe Botschaft für alle Menschen. Der König mit dunkler Hausfarbe steht also genau für das Gegenteil von Rassismus, nämlich für Offenheit für die fremden Kulturen, denen genau Gottes begleitende Zuwendung ebenso gilt wie den Juden. An Pfingsten kommt diese Vorstellung zur Vollendung: Menschen aus allen Teilen der Welt verstehen die eine Frohe Botschaft.

Übrigens steht in der Bibel kein Wort über die Hautfarbe der Könige. Erst seit dem 14. Jahrhundert wird einer der Könige schwarz dargestellt.

Betlehem – in Gottes Plan

Die Erzählungen über die Geburt Jesu in Betlehem bei Matthäus und Lukas haben also den Sinn zu verdeutlichen, dass Gott liebevoll und zuwendend an allen Menschen handelt. Gott will den Menschen in der Geburt Jesu verdeutlichen: Ich lasse euch nicht allein, besonders nicht in den Niederungen und Abgründen des Lebens. 

Symbolisch wird das auch dargestellt im Erscheinen der Engel. Hier wird ein weiter Bogen gespannt zwischen der Armut im Stall von Betlehem und der Herrlichkeit Gottes. Die Armut von Betlehem ist die Armut der Menschen überhaupt. Die Engel rufen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.“

Geburt in Betlehem – keine historische Nachricht

Dass Jesus historisch genau in Betlehem geboren wurde, ist außerhalb der Bibel in keiner Quelle zu finden. Zudem gibt es etliche Ungereimtheiten, die an der Historizität zweifeln lassen.

Da ist zunächst der unwahrscheinliche Fall, dass sich Herodes auf die Aussagen von drei Fremden verlässt, wenn er herausfinden will, was in Betlehem wirklich los ist. Jeder Herrscher der damaligen Zeit hätte die drei wenigstens unter Bewachung gestellt, wenn nicht sogar festgesetzt. Er hätte seine eigenen Leute nach Betlehem geschickt. Zumindest hätte er einen Spion den dreien nachgeschickt, um Sicherheit zu bekommen. 

Ferner kann man vielleicht verstehen, dass Herodes erschrickt, weil er Konkurrenz vermutete. Doch dass die Schriftgelehrten und das ganze Volk mit ihm erschrecken, ist völlig unrealistisch, denn dieser Mann war als Vertreter der römischen Besetzungsmacht verhasst.

Auch die Wanderung des Sterns ist astronomisch nicht nachvollziehbar. Wie soll dieser Stern tatsächlich vor den Weisen – wie vor unseren alljährlichen Sternsingern – hergezogen sein und über dem Stall stehen bleiben?

Schließlich ist die Tatsache, dass Josef mit seiner Verlobten Maria alleine nach Betlehem zieht, für die damalige Zeit eine ungeheure Zumutung. Dazu kommt, dass die Verlobte auch noch schwanger ist. Weil wir die weihnachtliche Geschichte so verinnerlicht haben, die Herbergssuche so gut kennen, spüren wir heute den Skandal in dieser Geschichte nicht mehr.

Die Botschaft von Betlehem

Diese Überlegungen machen deutlich: Die Geburt Jesu in Betlehem will nicht als historische Tatsache verstanden werden. Wie die Auferstehung Jesu ist sie ein geheimnisvoller Vorgang, der nur von glaubenden Menschen bezeugt werden kann. Die Botschaft ist: Der von Gott geplante und von den heiligen Schrift geweissagte Geburtsort des Sohnes Gottes ist der Ausgangpunkt, von dem das Wirken des Messias seinen Ausgang nimmt.

Dieser Botschaft dient auch die Rettungsgeschichte: Als der König den Kindermord von Betlehem plant, wird die heilige Familie nach Ägypten und später wieder unversehrt nach Nazaret geführt. Diese Geschichte folgt einem Schema von Rettungsgeschichte, wie es etwa bei Mose, Abraham, später in der Offenbarung des Johannes im 12. Kapitel angewandt wird. Das Schema kommt aber auch in Kindheitsgeschichten weltlicher Herrscher vor, etwa bei Augustus, Nero, Sargon I., Kyros, auch bei legendären Gestalten wie Romulus und Remus, Gilgamesch oder Krishna. 

Betlehem – dem Herzen vermittelt

Doch das ist nur die literarische Form. Viel wichtiger ist das Anliegen: die liebende Zuwendung Gottes zu den Menschen zu verkünden. Und hier gilt es zu überlegen, wie diese Botschaft den Menschen so nah gebracht werden kann, dass sie sie ganz mit Verstand und Herz ergreift.

Und da kam bekannterweise Franz von Assisi im Jahr 1223 auf die Idee, in der Kirche in Greccio eine Krippe aus lebendigen Menschen und Tieren zu inszenieren. Das hat die Menschen derart beeindruckt, dass man begann, in oder bei den Kirchen Krippen aus verschiedenem Material zu gestalten.

Lesen wir also an Weihnachten die biblische Geschichte von der Geburt und begreifen in Bildern die überwältigende Zusage: Ich bin bei euch alle Tage eures Lebens! Ich gehe euren Lebensweg mit! Das lebendigste und glaubwürdigste Zeichen dafür ist die Menschwerdung des Sohnes Gottes in Betlehem – und schließlich dessen Auferstehung.

Hubertus Brantzen

Prof. Dr. Pastoraltheologe, Mainz.

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Foto: © Hubertus Brantzen