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Christliches Abendland – ein irreführender Begriff?

Christliches Abendland – ein irreführender Begriff?

von Christine Lieberknecht

Befragt nach dem „christlichen Abendland“ stehen vor mir die Bilder meiner Kindheit aus einem evangelisch-lutherischen Pfarrhaus. Am Ende der 1950er Jahre geboren empfand ich vieles, was mit dem Beruf meines Vaters zusammenhing, als sehr geheimnisvoll. So bestaunten wir Pfarrerskinder die Tauf- und Abendmahlsgeräte aus versilberten und vergoldeten Materialien. Wir warfen ehrfurchtsvolle Blicke in uralte Archivschränke und rätselten beim Anblick des Kruzifixes auf dem Hausaltar über den Kreuzestod Jesu. Im Pfarrhaushalt meiner Großeltern, aus dem meine Mutter stammte, ergänzten Gemälde von Jesus als gutem Hirten und von schützenden Engeln mit ihren ausgebreiteten Flügeln über den Gästebetten mein kindliches Vorstellungsvermögen. Auch die drei Weisen aus dem Morgenland fehlten in unserer durch und durch „abendländisch“ geprägten Bilderwelt nicht. In den Krippenspielproben waren die Rollen der drei Weisen auf dem Weg nach Bethlehem sehr begehrt. Fleißig bastelten wir schmuckvolle Kronen, goldene Kästchen und festliche Gewänder. Von Fremdheit, Skepsis oder gar „Integrationsproblemen“ keine Spur. Wir liebten Caspar, Melchior und Balthasar. …

Christine Lieberknecht

Christine Lieberknecht Ministerpräsidentin des Freistaates Thüringen a.D., evangelisch-lutherischer Theologin. www.christine-lieberknecht.de

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