Da ging mir ein Licht auf
Von einem Geschenk, das wir weitergeben sollen
von Hubertus Brantzen
„Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war wüst und wirr und Finsternis lag über der Urflut, und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Und Gott schied das Licht von der Finsternis. Und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht.“
Die ersten Sätze der Bibel (Gen 1,1-4) weisen auf das Ur-Element hin, den Anfang aller Dinge, die Gott geschaffen hat. Licht ist der Erstling alles Geschaffenen (Gerhard von Rad). Dem Ur-Licht werden im Schöpfungsbericht der Genesis alle anderen Schöpfungen Gottes nachgeordnet.
Damit beginnt die Verkündigung der biblischen Schriften mit etwas, was alle Menschen und alle Religionen betrifft und berührt: Licht gehört zur grundlegenden Erfahrung und Metaphorik der Menschheit. Das Licht, das im Kosmos dauernd gegenwärtig ist und Voraussetzung dafür ist, dass der Mensch etwas sehen kann, wurde quer durch die Kulturen zum Symbol der Erkenntnis, der Wahrheit und des Göttlichen. Häufig wird die Licht-Metaphorik verwendet, um komplexe Ideen, Lebensvorgänge und Emotionen auszudrücken.
Lebensereignisse und das Licht
Wenn ein neuer Mensch geboren wird, sprechen wir davon, dass er „das Licht der Welt erblickt“. Wir sind gespannt, ob er ein Mensch wird, der „sein Licht leuchten lässt“ vor und für andere oder sein Licht eher „unter den Scheffel stellt“ oder gar „kein großes Licht ist“.
Um positive wie negative Seiten eines Menschen zu beschreiben, verwenden wir oft die Licht-Metaphorik. Wir erleben einerseits Menschen, die fähig sind, „die Wahrheit ans Licht zu bringen“ und Unverständliches offenzulegen. Menschen, die es gut mit anderen meinen, lassen diese „in gutem oder günstigem Licht erscheinen“.
Böse Menschen andererseits „scheuen das Licht“. Sie wollen andere „hinters Licht führen“, im schlimmsten Fall „pusten sie anderen das Licht aus“. Meist kommen ihre schlechten Taten aber doch „ans Licht“, dann „fällt ein schlechtes Licht“ auf die Täter. Dann sagen wir, dass ihre Taten „ein bezeichnendes Licht“ auf sie werfen.
Licht wird manchmal zum Symbol für Hoffnung und Zuversicht. In schwierigen Zeiten kann das Bild vom „Licht am Ende des Tunnels“ Trost spenden und den Glauben an eine bessere Zukunft stärken. Wir verbinden damit die Vorstellung, dass selbst in den dunkelsten Momenten unseres Lebens Hoffnung und ein neuer Anfang möglich sind.
Licht ist sein Kleid
Im Alten Testament erscheint das Licht öfter als ein Attribut Gottes. Um zu beschreiben, wie Gott ist und wie er für uns Menschen ist, sagt Psalm 104,2: „Du hüllst dich in Licht wie in einen Mantel, du spannst den Himmel aus gleich einem Zelt.“ Das Buch Daniel 2,2 formuliert: „Er enthüllt das Tiefe und das Verborgene; er weiß, was im Dunkeln ist, und das Licht wohnt bei ihm.“ Das Buch Hiob (22,28) bekennt: „Was du beschließt, trifft ein, Licht strahlt über deinen Wegen auf.“ Zusammenfassend besingt Psalm 27,1 Gottes Sorge um uns Menschen: „Der HERR ist mein Licht und mein Heil: Vor wem sollte ich mich fürchten?“
Das Neue Testament verwendet 72 Mal das Wort Licht und weitere 20 Mal Wörter aus dieser Wortgruppe. Besonders das Johannes-Evangelium bedient sich der Licht-Metaphorik, um Jesus als den Lichtträger Gottes darzustellen. Gleich im Prolog zu diesem Evangelium heißt es in Vers 1,4-5:
„In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst. Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht. Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht.“
Der schwer verständliche Satz, die Welt sei durch Jesus Christus geworden, weist zum einen darauf hin, dass der Sohn Gottes bereits vor seiner Geburt durch Maria existierte und bei Gott war. Zum anderen lässt der Satz uns aber auf den Beginn der Bibel und die erste Schöpfungstat Gottes schauen, auf das Licht. Unser großes Glaubensbekenntnis, dessen erster Teil vor genau 1700 Jahren auf dem Konzil von Nicäa formuliert wurde, sagt darum:
„Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen.“
Jesus Christus zeigt sich als Licht Gottes, das seit Beginn der Schöpfung bereits existierte und sich durch seine Menschwerdung und sein Wirken unter den Menschen allen – uns – zeigt. Und so wird dann auch die Selbstaussage Jesu in Johannes 12,46 verständlich: „Ich bin als Licht in die Welt gekommen, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibt.“ Und in Joh 8,12: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben.“
Wir sollen Licht sein
Mit diesem Satz gibt Jesus sein Licht an seine Jüngerinnen und Jünger weiter. Sie sollen zum Licht für die Welt werden. In verschiedenen Schriften des Neuen Testaments wird das beschrieben oder gefordert. Die Zusage lautet: „Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben.“ (Mt 5,14) Daraus ergibt sich der Auftrag, so zu leben, dass das Licht Gottes auch wirklich durch die Jüngerinnen und Jünger leuchten kann:
- „Denn einst wart ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr Licht im Herrn. Lebt als Kinder des Lichts!“ (Eph 5,8)
- „Ihr alle seid Kinder des Lichts und Kinder des Tages. Wir ge-hören nicht der Nacht und nicht der Finsternis.“ (1 Thess 5,5)
- „Tut alles ohne Murren und Bedenken, damit ihr rein und ohne Tadel seid, Kinder Gottes ohne Makel mitten in einer verkehrten und verwirrten Generation, unter der ihr als Lichter in der Welt leuchtet!“ (Phil 2,15)
- „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts! (Röm 13,12)
Das Ringen zwischen Licht und Finsternis
Weder Jesus noch Paulus sind spirituelle Traumtänzer, die sich in eine schöne Rede über das leuchtende Licht hineinsteigern. Sie wissen genau, was in der Welt los ist und was sich Menschen gegenseitig antun können. Darum spielt der Gegensatz zwischen Licht und Finsternis, zwischen Tag und Nacht eine wichtige Rolle.
So können wir den ersten Satz der Bibel im Buch Genesis so verstehen, dass Gott am ersten Schöpfungstag Licht und Finsternis in einem mehrfachen Sinn voneinander scheidet. Was damals – in Bildern ausgedrückt – geschah, zeigt sich zuerst in der Geschichte des Volkes Israel und dann in der Geschichte des neuen Volkes Gottes und in der Kirche: der geistige Kampf zwischen denen, die Licht bringen, und denen, die Finsternis verbreiten.
Dabei ist es gar nicht so einfach, immer Lichtgestalten von finsteren Gesellen zu unterscheiden. Wir erleben das nicht nur im Raum der Kirche, sondern in den kleinen und großen Kreisen unseres Lebens. Wenn wir auf die politische Bühne der Gegenwart schauen, erblicken wir die Prototypen des geistigen Kampfes. Nicht alle, die sich gerne als die Lichtgestalten und Retter der Menschheit profilieren wollen, sind wirkliche Lichtträger. Wie sehr ersehnen wir uns im Gegenzug, dass echte Menschen des Lichts endlich das Heft der Geschichte in die Hand nehmen.
Unsere Hoffnung – das Licht aus der Höhe
Hier stoßen wir an die „Grenzen der Menschheit“. Es sind nicht nur die Ressourcen der Erde, die knapp werden, es sind auch die Ressourcen der Hoffnung und des guten Willens, die uns auszugehen scheinen. Uns bleibt oft nur die christliche Hoffnung auf eine Auferstehung im vielfältigen Sinn.
Das größte Fest dieser Hoffnung ist das Osterfest. Hier feiern wir Christus, der aus der Finsternis des Todes zurückkam, um bleibend zum Licht für alle zu werden. In der Osternacht wird das Licht der Osterkerze am Feuer entzündet und in die dunkle Kirche getragen, mit dem dreimaligen Gesang: „Lumen Christ!“ – „Licht Christi!“ Im Licht der aufgehenden Sonne – dem eigentlichen Zeitpunkt der Auferstehungsfeier – folgt im „Exsultet“ der große Lobgesang auf dieses Licht:
„Lobsinge, du Erde, überstrahlt vom Glanz aus der Höhe!
Licht des großen Königs umleuchtet dich.
Siehe, geschwunden ist allerorten das Dunkel.“
So ist uns das wirkliche und wirksame Licht für unser Leben bereits geschenkt. Zugleich geht an uns der Auftrag, den die Propheten bereits zu einer Zeit formulierten, als das Volk Israel in der babylonischen Gefangenschaft (597-539 v. Chr.) aushalten mussten, der uns bis auf den heutigen Tag inspirieren will (Jes 60,1-5):
„Steh auf, werde licht, denn es kommt dein Licht
und die Herrlichkeit des HERRN geht strahlend auf über dir. Denn siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker, doch über dir geht strahlend der HERR auf, seine Herrlichkeit erscheint über dir. Nationen wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz.“
Wenn wir uns auf dieses Licht einlassen, geht uns vielleicht ein Licht auf!
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