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Das „gemeinsame Priestertum“ aller Gläubigen

Menschen sitzen am Tisch und essen

Das „gemeinsame Priestertum“ aller Gläubigen

von Klaus Roos

Der religionsgeschichtliche Hintergrund

Priester sind Fachleute für religiöse Riten. Es gibt sie in allen Religionen. Der Umgang mit den unsichtbaren geistigen Mächten geschah durch kultische Handlungen. Dafür benötigte man Ritualspezialisten. Oft entstanden daraus Berufsgruppen, die eine besondere soziale Stellung einnahmen. Die vielfältigen Aufgaben der Priester können hier nicht aufgezählt werden. Generell übten sie eine Mittlerfunktion aus zwischen den göttlichen Mächten und dem Volk. Dies taten sie hauptsächlich dadurch, dass sie Riten vollzogen, vor allem Opferhandlungen, oder dass sie den Willen der Gottheit verkündeten, zum Beispiel durch Orakel. Oft oblag ihnen die Betreuung heiliger Orte. 

Der alttestamentliche Hintergrund

In der ältesten Geschichte Israels begegnen uns keine Priester. Das Oberhaupt der Familie oder des Stammes nahm die priesterlichen Aufgaben wahr. Später entwickelte sich ein eigener Priesterstand, in den man hineingeboren wurde. Vor allem am Jerusalemer Tempel entstand eine hierarchisch geordnete Priesterkaste, die in 24 Priesterklassen eingeteilt war (vgl. 1 Chr 24). Ihre Aufgaben bestanden vor allem in der Toraunterweisung, dem Opferdienst, der Verwaltung der Tempelgüter und der Tempelaufsicht. An der Spitze stand der Hohepriester, der Mittler zwischen Jahwe und seinem Volk. Er allein durfte einmal im Jahr das Allerheiligste des Tempels betreten, um die große Sühneliturgie am Versöhnungstag zu vollziehen. 

Die neutestamentliche Sicht

Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass das Priestertum im Neuen Testament fast keine Rolle spielt. Jesus war kein Priester. In seinem Auftreten und seiner Lehre sind tempelkritische Töne unüberhörbar (vgl. Mk 14, 58). Hintergrund ist seine Botschaft von der nahe gekommenen Gottesherrschaft. Gemäß prophetischer Überlieferung (vgl. Mi 7, 19) gewährt Gott in der „Endzeit“ Sündenvergebung. Die Sühnopfer, die den Hauptbestandteil des Tempelkults ausmachen, werden dadurch überflüssig. Indem Jesus verkündigt, mit ihm sei die endzeitliche Gottesherrschaft bereits angebrochen, hat der Tempel ausgedient. Diese Infragestellung des Tempelbetriebs war es letztlich, die Jesus das Leben kostete (vgl. Martin Ebner, Jesus von Nazaret. Was wir von ihm wissen können, Stuttgart 2007, 143-154).

Folgerichtig gab es auch in der frühen Kirche keine Priester. Wenn bestimmte Dienste oder „Rollen“ aufgezählt werden, die sich in den urchristlichen Gemeinden ausgebildet hatten, kommt der Begriff „hiereus“, der im Griechischen den Kultpriester bezeichnet, nicht vor. Die Gemeindeleitung liegt bei den Ältesten, den „presbyteroi“, von denen unser Wort „Priester“ abgeleitet ist. Die Begründung für diese auffällige Distanz zu jeglichem Kultpriestertum wird im Hebräerbrief so zusammengefasst: Christus ist der wahre Hohepriester. Er hat sich selbst zum Opfer dargebracht und ein für alle Mal Versöhnung mit Gott gestiftet. Es bedarf deshalb keiner weiteren Opfer und keiner Priester mehr. Christus allein ist der wahre Mittler.

Klaus Roos

Dr. theol, ist Pastoraltheologe und war bis zu seinem Ruhestand im Jahr 2014 stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Außerschulische Bildung und des Fortbildungsinstituts der Diözese Würzburg.

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