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Digitalisierung – das arg strapazierte Schlagwort

Vater und Sohn vor einem Tablet

Digitalisierung – das arg strapazierte Schlagwort

von Markus Hauck

Beim Bundestagswahlkampf im Herbst vergangenen Jahres war sie neben der Klimakrise eines der heißen Themen. Gemeint ist die Digitalisierung. Alles soll und muss bitte digitaler werden: Unternehmen, die öffentliche Verwaltung. Für die Schulen wurde sogar ein eigener Digitalpakt verabschiedet. So weit, so gut. Die entscheidende Frage aber ist: Was genau ist denn bitte unter Digitalisierung zu verstehen?

Das Wort ist in aller Munde, aber so richtig scheint keiner zu wissen, was damit gemeint ist. Auf die Schule gemünzt heißt das: Ist der Unterricht schon digital, wenn die Lehrer einen Beamer oder gar ein Smartboard benutzen anstelle eines Overhead-Projektors oder der Tafel? Braucht es gar ein schnelles WLAN in jedem Raum der Schule, damit die Lehranstalt sich digitale Schule nennen darf? Oder muss die Kommunikation zwischen Schülern, Lehrern und den Eltern ganz einfach über eine App erfolgen, damit die Schule sich mit dem Etikett „digital“ schmücken darf?

Meine Kindheit? Analog und digital 

Ich selbst bin 1972 geboren. Als ich zehn Jahre später ins Gymnasium kam, gab es erstmals halbwegs erschwingliche (aus heutiger Sicht mit Blick auf die Rechenleistung und den Preis natürlich hoffnungslos überteuerte) Rechner für zuhause, so genannte Heimcomputer. Stundenlang verbrachten mein Bruder und ich damit, aus Heften, die es im Zeitschriftenhandel gab, Programmzeile um Programmzeile abzutippen, um schließlich ein Spiel zu bekommen, das Töne und bewegte Bilder bot. Ein Traum. Ganz nebenbei lernten wir so, wie die Programmiersprache Basic funktionierte. Dafür bin ich meinen Eltern sehr dankbar.

Musik dagegen wurde zu dieser Zeit entweder mit dem Kassettenrekorder (alle nach 2000 Geborenen sollten dieses Wort jetzt bitte googeln) aus dem Radio aufgenommen, als Platte erworben oder von einer ausgeliehenen Platte auf Kassette überspielt, wollte man sie für den eigenen Gebrauch verfügbar haben. Heute kann ich die Musik meiner Wahl jederzeit übers Handy streamen oder digital auf den Computer herunterladen. 

Wenn ich in der Grundschule ein Bild aus einem Buch in mein Schulheft übertragen wollte, hab ich es erst auf Pergamentpapier abgezeichnet, dann die Rückseite mit dem Bleistift geschwärzt und dann nochmals die Linien nachgezeichnet.

Meinen ersten PC erwarb ich 1992 zu Beginn meines Studiums. Er hatte für damalige Verhältnisse eine gewaltige Festplatte mit 65 MB (!), einen Farbmonitor und einen 24-Nadel-Farbdrucker. Wenn ich ein paar Jahre später mit meinem 14400er-Modem ins Internet (damals noch wirklich Neuland) wollte, musste ich  die WG vorwarnen, dass die Telefonleitung jetzt länger blockiert war. Kurz: Ich habe mitbekommen, wie Computer und das Internet immer mehr zum Alltag wurden, wie EDV dann zu IT umbenannt wurde, Personal zu Ressourcen. 

Digitalisierung allein ist nur ein Wort

Dieser Exkurs in meine Kindheit und Jugend soll vor allem eines: Ihnen verständlich machen, warum ich mich etwas wundere, wenn Zeitgenossen heute von Digitalisierung reden, als würde durch sie die Welt eine viel bessere werden. Klar, es gibt heute viele Dinge, die durch die Digitalisierung viel einfacher und schneller funktionieren. Wer sich zum Beispiel daran erinnert, wie umständlich es war, früher in Katalogen etwas zu finden und zu bestellen, um dann im besten Falle Tage später zu erfahren, dass der Artikel nicht lieferbar war, weiß, was ich meine.

Dennoch sind die modernen Lösungen nicht allein deshalb gut, weil sie digital sind. Sie sind es, weil sie das Leben vereinfachen. Die Digitalisierung ist kein Wert an sich. Etwas ist nicht einfach von sich aus besser, weil es digital ist. Es ist besser, wenn es das Leben von Menschen vereinfacht.

Widerstand gegen die Digitalisierung

In Deutschland wird gegenwärtig besonders häufig über Digitalisierung geredet. Vielleicht einfach nur deswegen, weil Deutschland die Entwicklungen der vergangenen Jahre verschlafen hat. Vieles, das in anderen Ländern längst Alltag ist, gilt in Deutschland immer noch als abenteuerliches Neuland. Zum Beispiel: Behördengänge via Internet. Es ist aber der falsche Ansatz, aus diesem Grund in eine Art Digitalisierungs-Mantra zu verfallen. Digitale Lösungen sind in vielen Lebensbereichen, vom Kleinkind bis zum Rentner, doch schon lange fester Bestandteil des Lebens.  Es kann und darf nicht das Ziel sein, Dinge und vor allem Menschen mit aller Gewalt zu digitalisieren. Menschen möchten nicht digitalisiert werden, sie möchten keine Ressourcen sein. Was wertvoll ist, sind alle Lösungen, die Menschen einen Vorteil in ihrem Alltag bieten, wie das Foto der Enkelkinder auf dem Smartphone oder eine intelligente Funktion in der Software, durch die ich jeden Tag 15 Minuten mehr Freizeit gewinne. 

Auf den Menschen fokussieren statt auf die Technik

Ach wie fein wäre es, wenn wir also damit aufhören könnten, über Digitalisierung als etwas Neuartiges oder eine Art isolierte Materie zu reden. Der Mensch muss bei allem im Mittelpunkt stehen und nicht die Technologie, die verwendet wird. 

Es gab in der Vergangenheit  viele Beispiele für neue Sachen, die übertrieben zum Einsatz kamen und die heute deswegen nicht mehr so euphorisch betrachtet werden wie zu Beginn. Ein übertriebenes „Hauptsache digital“ bringt uns daher auch nicht wirklich weiter. Lösungen sind gut, wenn sie das Leben von Menschen einfacher und besser machen. Und das kann auch durchaus digital geschehen. 

Markus Hauck

Leiter der Pressestelle im Bistum Würzburg, Mitglied der basis-Redaktion.

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