Ein Weckruf an alle
Eine Bilanz zehn Jahre nach der Enzyklika „Laudato si’“
von Markus Hauck
Schon die Adressierung war außergewöhnlich: Als Papst Franziskus zu Pfingsten 2015 seine Enzyklika Laudato si’ – Über die Sorge für das gemeinsame Haus veröffentlichte, wandte er sich explizit an „alle Menschen guten Willens“. Das sorgte für Aufsehen. Denn damit positionierte er die Kirche als moralische Instanz in der globalen Debatte um Umwelt und Gerechtigkeit – und nicht als exklusiven Club für Gläubige. Sein Appell, die „Sorge für das gemeinsame Haus“ als Aufgabe aller Menschen zu begreifen, wurde weltweit gehört und diskutiert. „Die Welt ist mehr als ein zu lösendes Problem, sie ist ein freudiges Geheimnis, das wir mit frohem Lob betrachten“, schreibt Franziskus in seiner Enzyklika. Nicht weniger als Achtzehn Ausrufezeichen setzt er ein, um solche Erkenntnisse zu vermitteln – ein für offizielle päpstliche Einlassungen eher untypisches Stilmittel.
Zugleich vertritt Papst Franziskus darin eine für die reichen Industrienationen höchst unbequeme Botschaft: Ein erfolgreicher Einsatz gegen Umweltzerstörung und Klimawandel sei nur möglich, wenn der wohlhabende Teil der Menschheit seinen Konsum einschränke und den Lebensstil grundlegend ändere.
Das Besondere an „Laudato si’“ ist zudem auch, dass der Papst darin Umwelt- und Sozialethik konsequent verknüpft. Franziskus kritisiert eine Wegwerfkultur, die nicht nur Ressourcen verschwendet, sondern auch Menschen ausschließt und an den Rand drängt. Er spricht von einer „integralen Ökologie“, die den Menschen, die Schöpfung und die sozialen Verhältnisse zusammendenkt – ein Ansatz, den viele als innovativ und zukunftsweisend bewerten.
Ein Referenztext für Nachhaltigkeit
Die Enzyklika hat die öffentliche Debatte spürbar beeinflusst. Das beweisen Begriffe wie „Wegwerfkultur“ oder „ökologische Schuld“, die in den allgemeinen Sprachschatz eingegangen sind. NGOs und Umweltbewegungen, die der Kirche sonst eher distanziert gegenüberstanden, suchten aktiv den Dialog und die Zusammenarbeit mit kirchlichen Akteuren. Laudato si’ wurde zum Referenztext für viele Initiativen im Bereich Nachhaltigkeit und Klimaschutz, auch außerhalb der Kirche.
Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss auf die internationale Politik: Kurz vor der Pariser Klimakonferenz 2015 wurde die Enzyklika veröffentlicht. Damit hat sie, wie viele Beobachter sagen, den politischen Druck auf die Verhandler erhöht, ambitionierte Ziele zu setzen. Sie wurde in politischen Reden zitiert und diente als moralische Legitimation für Klimaschutzmaßnahmen. „Seit dem Erscheinen von Humanae Vitae, 1968 hat kein päpstliches Schreiben derart stark und nachhaltig die gesellschaftliche und innerkirchliche Debatte angeregt wie die Enzyklika Laudato Si“, attestiert etwa der Sozialethiker Martin Schneider. Der Appell des Papstes an „die gesamte Menschheitsfamilie, sich in der Suche nach einer nachhaltigen und ganzheitlichen Entwicklung zu vereinen“
(LS 13), habe gewirkt.
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