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Eine Kirche am „Neuen Ufer“

Eine Kirche am „Neuen Ufer“

Überlegungen zum synodalen Prozess

von Heinrich Walter

Beim Pfingstkongress im vergangenen Jahr ist am Ende die Intuition gereift, dass die Kirche inzwischen am sogenannten „Neuen Ufer“ angekommen ist. Eine junge Chilenin hat es über Nacht ins Bild gebracht. Das Schiff Petri, das durch die Wellen der rauen See der Zeit gegangen ist und manches aufgeben musste, legt am neuen Ufer an. Und die Reisenden gehen an Land. Es taugt nicht der wehmütige Blick zurück an das Leben am alten Ufer, denn es existiert nicht mehr. Der Blick zurück ist gefährlich, weil er die Energie in die Nostalgie bindet und nicht in die Kreativität und Schaffenskraft. Einige Eindrücke, Erkenntnisse und Sorgen zum Synodalen Weg will ich beschreiben.

Die Kirche wird ein pilgerndes Volk Gottes sein. Dazu gehört der Pioniergeist, der zu neuen Horizonten aufbrechen lässt. Die sesshafte Struktur mit gleichbleibenden Abläufen wird immer relativer, wie auch die strenge Hierarchie mit ihrem strukturierten Machtgefälle. Was zählt sind die tragenden persönlichen Beziehungen, die das Volk aufbauen. Es gibt unterschiedliche Grade der Zugehörigkeit, aber alle haben ihren Platz. Bei diesem Prozess geht es um die Qualität, eine Zugehörigkeit ermöglichen zu können. Das pilgernde Volk trägt das Kreuz, das Zeichen für die Mitte des Glaubens, es ist der leidende und verlassene Jesus. Deshalb gehört die Demut als Haltung zum pilgernden Volk. Das Pilgern öffnet das Herz für die Führungen und Fügungen Gottes. Der Pilger ist kein Macher, sondern zuerst ein Beschenkter und einer, der aufmerksam ist auf das Leben und auf den, der an seiner Seite geht.

Die Prozesse der Synode machen deutlich, dass das Verhältnis zwischen Klerus und Laien neugestaltet wird. Die Pyramide hat sich langsam verändert, das ist nicht nur in der Kirche so. Wir beobachten diese Prozesse in den politischen und wirtschaftlichen Strukturen. Man spricht von der flachen Hierarchie, von Mitbeteiligung an der Verantwortung. Es wäre an der Zeit, den Begriff der Laien zu überdenken. Wir alle sind zuerst getaufte Christen. Und auf dieser gemeinsamen Grundlage werden im Volk der Christen verschiedene Dienste ausgebildet.  Wir haben in Schönstatt ein selbstverständliches Miteinander von Klerus und Laien. Wir sind es gewohnt, zusammenzuarbeiten und miteinander Prozesse zu gestalten. Es gibt viele positive Erfahrung von menschlicher Nähe und Vertrauen, Verständnis und Freundschaft. In vielen Schönstattgemeinschaften haben Laien eine Leitungsfunktion, auch in den Präsidien sitzen alle gleichberechtigt am Tisch.

Dem Charisma der Frau den entsprechenden Raum geben

Maria Pelz erzählte auf dem Delegiertenkongress der deutschen Schönstattbewegung: „Wir haben eine selbstverständliche Erfahrung von Miteinander zwischen Mann und Frau: Wenn wir mit Familienthemen zu tun haben, spricht nicht ein Mann oder eine Frau, sondern ein Ehepaar gemeinsam. Diese partnerschaftliche Kompetenz ist in der Kirche noch nicht genügend angekommen.“ Sie hilft, das Thema Frau in der Kirche nicht isoliert zu betrachten. Margaret Karram, die Präsidentin der Fokolare, hat auf der Synode aufhorchen lassen mit ihrem Zeugnis, dass in ihrer Bewegung immer eine Frau Präsidentin ist und ein Priester Copräsident. Sie betonte, dass es nicht um eine Rolle, sondern um das Charisma des Weiblichen in der Kirche gehe. Sie wolle nicht in eine männliche oder priesterliche Rolle schlüpfen, das Charisma der Frau sei weit mehr als eine Rolle. Mir wird immer wieder klar, dass wir dieses Thema in der Kirche anders anpacken müssen, damit wir dem Reichtum im Zusammenspiel der Geschlechter gerechter werden.

Die Gegenwart Gottes bezeugen und das Heilige feiern

Auf der Synode in Prag fiel mir die Spannung auf, die ein polnischer Bischof äußerte: „Ihr im Westen beschäftigt euch vor allem mit den Soziologen. Die Kirche ist ein sehr horizontales Gebilde. Wo ist Gott bei euch?“ Man nannte es dann die Gottesfrage. Aber es ist weit mehr, denn wir berühren die Unterschiede zwischen westlicher und östlicher Kirche. Wir kennen einander zu wenig und sind in Gefahr, einander nicht genügend ernst zu nehmen. Wir müssen weit in die Geschichte zurück, auch in die Kulturgeschichte. In der Ostkirche steht Gott als die Erstursache ganz im Zentrum, das zeigt sich in der Bedeutung der Liturgie. Die Feierlichkeit und Länge der Liturgien betonen das Heilige. Pater Josef Kentenich sprach immer davon, dass Gott durch die Zweitursachen zu uns spricht. Wir erkennen im Zueinander der geschöpflichen und der göttlichen Wirklichkeit eine besondere pädagogische Chance und Aufgabe. In den Gesprächen spürte man die Herausforderung, die tiefe Andersartigkeit zu verstehen und ebenso auch die eigene Erfahrung so erklären zu können, dass sie verstanden wird. Hier sind viele Lernwege zu gehen. Wir brauchen viele Befreundungsvorgänge, wenn wir ein größeres Miteinander allein zwischen Ost und West kultivieren wollen.

Eine Kultur der Synodalität entwickeln

Synodalität will gelernt sein. So empfand ich die Gruppenstunden, die wir miteinander auf der Synode hatten. Bischöfe, Kleriker und Professoren taten sich meist nicht leicht damit. Es ist ein immer neues Bemühen, das mit dem richtigen Zuhören beginnt. Hören, wie das Gegenüber denkt und empfindet; ahnen, was sich noch tiefer dahinter verbirgt; heraushören, was der Geist Gottes durch die Einzelnen zu uns sagt. Allen war klar, die Beteiligten brauchen dafür Anleitung und Einübung.

Wir erkannten, dass wir uns in Europa kulturell ziemlich fremd sind, wir kennen zu wenig die Unterschiede der Kulturen und Mentalitäten. Wir brauchen viel Begegnung und Befreundung.

Die Entscheidungsfindung ist ein noch komplexeres Thema. Wir werden Zeit und viele Versuche brauchen, diesen Stil richtig auszubilden. Das betrifft auch den größeren Entscheidungsfreiraum in den Kontinenten und Kulturen. Manche Bischofskonferenzen wehren sich dagegen. Nicht wenige fürchten, dass sich die Kirche in dem Prozess der Dezentralisierung und Enteuropäisierung zersplittert. Zur Kultur der Synodalität gehört ein hohes Maß an Geistpflege. Bindung so viel wie nötig, Freiheit so viel wie möglich, aber Geistpflege auf allen Ebenen und mit allen Mitteln, wie Pater Kentenich sagt. Geschieht genügend Geistpflege, Pflege der Motivation, damit das „sentire cum ecclesia“ stark genug sein kann für den gemeinsamen Weg? Seit Jahren sprechen wir von Bündniskultur. Mir scheint das eine gute Perspektive für die Kirche am Neuen Ufer.

Maria als Muster und Mutter der Synodalität

Beim Innehalten wird mir bewusst, wie sehr diese künftige Kirche eine marianische Kirche sein wird. Von innen nach außen die Neuwerdung gestalten. Alles beginnt beim Hören, das lernen wir in der Schule Mariens. Das Unterwegssein und sich Einlassen auf die Führungen Gottes ist eine marianische Haltung. Der Christ, der seine Verantwortung aus freien Stücken wahrnimmt, kann sich an Maria ein Beispiel nehmen. Und mitten in der pfingstlichen Versammlung der Jünger hat das gläubige Volk immer Maria als Mutter und Muster gesehen. Sie ist Mutter und Muster der Kirche am Neuen Ufer.

Heinrich Walter

Schönstatt-Pater, Familienseelsorger

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Beitragsfoto: © “Ankunft am neuen Zeitenufer”, María Elina San Roman, Argentinien | Foto: Brehm, PressOffice Schönstatt