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„Emphatisches“ Erinnern oder: wie man Konflikte lebendig hält 

Frau ärgert sich und schlendert Blumen von Ihrem Mann während dieser telefoniert und nichts merkt.

„Emphatisches“ Erinnern oder: wie man Konflikte lebendig hält 

von Michael Linden

In der deutschen Sprache hat das Wort „erinnern“ eine doppelte Bedeutung. Zum einen ist damit Wissen (im englischen „to remember“, „to know“) gemeint. Davon zu unterscheiden ist „emphatisches Erinnern“, d.h. hinweisendes, ermahnendes, vorhaltendes, belehrendes Erinnern, im Sinne von sich oder jemanden an etwas erinnern (im englischen „to remind“). Es ist inhaltlich und psychologisch etwas völlig anderes, ob jemand weiß, wann sein Hochzeitstag ist oder ob die Partnerin „daran erinnert“, dass gestern der Hochzeitstag war. Ebenso ist es etwas anderes, zu wissen, wann die römischen Truppen am Rhein gestanden und die Germanen bekämpft haben oder ein Denkmal zu errichten zur Erinnerung an die Herrmannschlacht.

Emphatisches Erinnern sagt mehr über den Erinnernden als über die Vergangenheit

Bei jeder emphatischen Erinnerung gibt es den Erinnernden und den Erinnerten, d.h. eine Interaktion. Emphatisches Erinnern hat immer ein Ziel, sei es, jemand anderen zu einer Handlung anzuregen, sich selbst zu rechtfertigen, eigene Ansprüche zu begründen, sich selbst herauszustellen oder jemandem Vorwürfe zu machen. Gedächtnis ist keine Computerfestplatte. Von den Milliarden an Lebensmomenten erinnern sich Menschen nur an ganz wenige, abhängig davon, was sie aktuell emotional berührt. Dabei erinnern sie vor allem so, wie sie sich wünschen, dass die Vergangenheit gewesen wäre. Unfallgegner oder ein Paar in Scheidung berichten Erinnerungen, die so unterschiedlich sein können, als würden sie über unterschiedliche Ereignisse berichten. 

Emphatisches Erinnern ist Aggression

Hinweisende Erinnerungen sind in der Regel negativ getönt, selbst dann, wenn vordergründig auf Positives verwiesen wird. Wer jemand anderen emphatisch betont darauf hinweist, dass der zurückliegende Urlaub sehr schön war, vermittelt implizit damit auch eine Forderung an die Zukunft oder einen Vorwurf, dass der vorletzte eben nicht schön war. Friedliche Partner werden gemeinsam ihr Wissen an schöne Erlebnisse auffrischen, sich das jedoch nicht vorhalten. Bei emphatischen Erinnerungen stellt sich immer die Frage nach der Motivation für die Vorhaltung und die zugrundliegenden Anklagen. Besonders virulent sind solche vorwürflichen Erinnerungen bei offenen Rechnungen, wie man es regelhaft bei Verbitterungssyndromen beobachten kann. 

Vergeben ohne Vergessen

Besonders aggressiv und herabwürdigend wirkt es, wenn solches fortdauerndes hinweisendes Erinnern dann mit der „großzügigen“ Behauptung verknüpft wird, dass man über Vergangenes hinwegsehen und vergeben wolle, was zur Verhöhnung des anderen werden und somit eine besondere Aggression darstellen kann. Man stelle sich vor, dass ein Partner fremdgegangen ist und der andere dann erklärt, alles vergeben zu wollen, aber zur Erinnerung, den 5. Mai zum Tag der Untreue machen und im Wohnzimmer ein Denkmal an die Untreue errichten zu wollen. Das würde sicher nicht zu neuer partnerschaftlicher Liebe führen, sondern eher zu weiteren Spannungen und ein guter Grund für weitere Untreue sein.

 

Michael Linden

Univ.-Prof. Dr. med., Dipl.-Psych., Berlin, vertritt in basis den Bereich Medizin und Psychotherapie.

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