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Freizeit fördert die ganzheitliche Bildung

Freizeit fördert die ganzheitliche Bildung

Ein Plädoyer für die Halbtagsschule 

von Harald M. Knes

„Du, Mama, wir haben da heute so einen Zettel in der Schule bekommen. Wir Jungs haben in der Schule schon darüber gesprochen und sind uns einig.“ So war die Auskunft eines 10-jährigen Jungen, als es darum ging, wer in der 5. Klasse in die Ganztagsbetreuung möchte. Sie sagte mir: „Keine zehn Pferde bringen ihn nachmittags in die Schule.“ Wir waren uns beide einig: Eine sehr gesunde Einstellung! Es ist ja eine irrige Vorstellung, dass man nur in der Schule lernt. Das Gehirn lernt immer und überall. Viele wirklich wichtige Dinge konnte ich nur außerhalb der Schule direkt in der Situation lernen.

Wo dein Herz dabei ist, gelangt
dein Lernen auf ein völlig neues Level 

Als Grundschullehrer halte ich es für meine wichtigste Aufgabe, den Funken der Motivation in die Herzen meiner Schüler zu werfen, zu hoffen, dass es brennen wird, und sich riesig zu freuen, wenn da ein Feuer der inneren Motivation beginnt zu lodern. Dieses „heilige Ereignis“ lässt sich nicht produzieren oder erzwingen. Ich treffe natürlich oft auf Eltern, für die ich bete, sie mögen mehr Gottvertrauen bekommen, weniger Sorge. Sie sind oft davon überzeugt, dass ihr Kind nur mit sehr viel Übung den Lernstoff bewältigen kann und schieben entsprechend mit Nachhilfe, obwohl das Kind es innerlich ablehnt. Die Wahrscheinlichkeit, dass hier viel im Langzeitgedächtnis ankommt, ist dann fast bei Null. Vor dem Eingang des Herzens steht ein Türsteher, der nur reinlässt, wer mit ganzem Herzen gemocht wird. Wenn ich reflektiere, was mich in meinem Leben angetrieben hat: die Freude, mit Kindern zu arbeiten, die Lust am Lesen und Schreiben, die Leidenschaft für Bäume und Natur, das Interesse für ganz viele Dinge, die Motivation, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen: All diesen Dingen habe ich mich gewidmet, weil ich gegen Mittag den Schulranzen in die Ecke geworfen habe und am Nachmittag alleine oder mit Freunden auf der Straße, auf der Wiese, am Waldrand das gemacht habe, was ich machen wollte. Und ich wusste in der Regel sehr genau, was ich wollte und was ich nicht wollte. 

Hundezwingerpädagogik versus Wolfsgenpädagogik 

Seit die Ganztagsschule aufkam, habe ich viel über meine Kindheit reflektiert, weil heutige Kinder oft ganz anders aufwachsen. Dabei habe ich zwei neue Begriffe dafür formuliert. Bei der Hundezwingerpädagogik hat tendenziell immer eine Aufsichtsperson ein Auge auf dich. Alles unterliegt dem Sicherheitsgedanken: Fünf oder sechs Meter auf einen Baum klettern geht nicht, es sind nur 1,50 m erlaubt. Wenn etwas passiert, kann die Aufsichtsperson verklagt werden. Du wirst also beobachtet. Außerdem hast du kaum noch ein Recht auf Langeweile und Alleinsein. Ständig bekommst du Vorschläge, was du machen könntest und entwickelst unbemerkt eine Konsumhaltung, statt selbst Ideen zu kreieren und von dir heraus aktiv zu werden. In einer Dokumentation, in der Wölfe und Hunde versuchten, ans Leckerli zu kommen, hatten die Hunde nicht den Hauch einer Chance. Die Wölfe hatten in der Freiheit und Selbständigkeit gelernt, wie es ist, Probleme zu lösen, ohne dass gleich jemand zu Hilfe eilt. Sie gingen kreativ an das Problem heran, versuchten verschiedene Lösungswege. Dabei arbeiteten sie auch gerne im Team. Die Hunde versuchten es zwei- bis dreimal auf die fast gleiche Art und Weise und winselten und schauten sich um, ob das Herrchen ihnen nicht helfen kann. Ihr Können steckte in der Zusammenarbeit mit dem Herrchen. Zitat: „Kinder unter Daueraufsicht (…) gleichen Haustieren, Stalleseln, die das Leben in der Freiheit nicht mehr kennen. Aus der Hirnforschung wissen wir, dass unter diesen Bedingungen die Ausreifung des Gehirns nicht optimal gelingt. Das Gehirn bleibt eine Kümmerversion dessen, was daraus hätte werden können.“ (Gerald Hüther, Interview mit F. Zeitner, Spiegel Spezial Nr.7/2008 S. 44) 

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Harald M. Knes

Leiter der Josef-Kentenich-Grundschule Kempten, gehört zum Säkularinstitut der Schönstätter Marienbrüder.


Beitragsfoto: © Maria Sbytova · stock.adobe.com