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Für Christus in die Fremde hinausgehen

Für Christus in die Fremde hinausgehen

Die Grundhaltung der irischen Wandermönche

von Wolfgang Weiß

Dem irischen Mönchtum, ein Mönchtum, das vor allem im 6. und 7. Jahrhundert über die eigene Insel hinausgriff, verdanken wir eine grundlegende Phase der Christianisierung Mittel- und Westeuropas. Bei der irischen Mission – oft auch iro-schottische Mission genannt – handelt es sich um ein ebenso eigenartiges wie faszinierendes Phänomen, das am Anfang der abendländischen Christentumsgeschichte, ja sogar der eigentlichen europäischen Geschichte steht. 

„Schottland (Scotia), das auch Irland (Hibernia) genannt wird, ist eine Insel im Ozean, fruchtbar durch seine Ackerböden, berühmter aber durch seine heiligen Männer; zu ihnen gehört Columban, über den sich Italien freut; zu ihnen gehört Gallus, der Alemannien geschenkt ward; zu ihnen gehört Kylian, durch den das deutsche Franken verherrlicht wird.“ So ist in der Passio maior zu lesen– der jüngeren und umfassenderen Beschreibung von Leben und Martyrium des irischen Wanderbischof Kilian und seiner zwei Gefährten, dem Priester Kolonat und dem Diakon Kolonat, die um 689 im Konflikt mit einer politischen Lokalgröße ums Leben kamen. Der Text, der wohl erst im zehnten Jahrhundert an der Würzburger Domschule entstanden ist, reflektiert damit die Geschichte der Christianisierung an der Schwelle von der Antike zum Mittelalter und erinnert an die entscheidende Rolle irischer Mönche. Aber wie kam es, dass von Irland, einer Insel am Rande der damals bekannten Welt, so eine epochale Entwicklung ausging? 

Eine zweistufige Berufungsgeschichte

Hier bietet die Kilianslegende ebenfalls eine Antwort. Sie berichtet von einer zweistufigen Berufungsgeschichte. Folgen wir wiederum der Passio maior: Kilian „verachtete […] unter dem Einfluss der zuvorkommenden Gnade Gottes […] die menschlichen Wissenschaften und die Reize dieser Welt und suchte ein Kloster auf: er verleugnete sich selbst, nahm sein Kreuz auf sich und folgte Christus nach (vgl. Mt 16,24; Lk 9,23).“ Der Rückzug in ein Kloster war aber gemäß der monastischen Spiritualität der Iren nur der erste Schritt auf dem Weg zu einer vollkommenen Nachfolge Christi. Erst wer die Heimat verließ, alle bisherigen Beziehungen, Bindungen und Sicherheiten aufgab, sich völlig einer fremden, ja feindlichen Welt auslieferte, konnte ein wahrer Jünger Jesu Christi sein. So heißt es dann auch in der Passio maior: Kilian, dem die Legende adelige Herkunft zuschrieb, „begann zu überlegen, wie er Bekannte und Verwandte verlassen und in weit entfernte Lande ziehen könne, wo sein Name unbekannt wäre und er als nur einfachem Geschlecht entsprossen gelten könne, um so ungehinderter Gott dienen zu können. Als sein Entschluss fortzuziehen ausgereift war, sammelte er Gefährten um sich, in deren Herz gleiche Liebesglut flammte; und er kam nach Britannien, das Irland benachbart ist, zog in nicht langer Schifffahrt daran vorüber und landete in Gallien. Er durchwanderte das Land und gelangte in die Provinz Germaniens, die von ihren eigenen Bewohnern Ostfranken genannt wird, und entschied sich, in einer dortigen Stadt Halt zu machen, die in der dortigen Sprache Wirziburg heißt.“ Der zitierte Abschnitt entfaltet, wie sich Kilian von der Vorstellung der peregrinatio pro Christo, einer Pilgerschaft in die Fremde für Christus bewegt den Schritt auf dem Kontinent wagt, wie schon ein Jahrhundert zuvor die in der Passio erwähnten Columban der Jüngere und Gallus. 

Radikale Askese als Kennzeichen

Das irische Mönchtum zeichnete sich durch eine ausgesprochene Radikalität der asketischen Lebensführung aus. Die irische Mönchsspiritualität neigte zu extremem Selbstverzicht. Da der Mensch in dieser Welt keine bleibende Heimat finden könne, war ihr ganzes Leben auf die ewige Heimat im Himmel ausgerichtet. Im irdischen Leben unbehaust zu sein, war für die irischen Mönche ein elementarer Schritt zur Christusförmigkeit im Zeichen der Kreuzesnachfolge. Diese bedingte die totale Selbstaufgabe. Wie Christus alles für die Seinen geopfert hat, so erwartet er von diesen ebenfalls alles. 

Die offensichtlichste Form der Christusnachfolge stellt das Martyrium dar. Irland war aber das einzige Land, dessen Bekehrung zum Christentum keine Märtyrer hervorgebracht hatte. Das erklärt, warum bei den irischen Mönchen die Vorstellung von den drei Arten des Martyriums entstand. Sie unterscheidet zwischen dem roten Martyrium, also dem Vergießen des eigenen Blutes für Christus, dem grünen Martyrium, womit die Selbstaufgabe in der Zurückgezogenheit des Mönchslebens gemeint ist, und dem weißen Martyrium, das im Verlassen des Heimatlandes gemäß dem Vorbild Jesu sowie seiner Apostel und Jünger zum Ausdruck kommt. 

Die biblische Überlieferung bietet für das Lebens- und Berufungskonzept des weißen Martyriums die zentralen Anstöße. Aus dem Alten Testament wurde Abraham zur Leitfigur. Als Gott ihn rief, zögerte er keinen Augenblick, die Heimat zu verlassen und in der Ferne einen Neuanfang zu wagen (Gen 12,1). So setzten auch Iren von Irland nach Gallien bzw. in das Frankenreich über, weniger um unmittelbar zu missionieren, sondern um als Fremde (peregrini) ein gottgefälliges Leben zu führen. Sie bildeten hier Mönchsgemeinschaften, denen einheimische Kräfte zuwuchsen. Diese neuen, iro-fränkischen Klöster wurden dann zu den entscheidenden Kristallisationspunkten einer christlichen Durchdringung der Umgebung und entfalteten missionarische Wirkung. Aber auch hier führte die Ruhelosigkeit ihrer geistlichen Existenz dazu, immer wieder aufzubrechen und in noch fernere Welten vorzudringen, wie wir es von Kilian erfahren, dem dabei sogar die Krone des roten Martyriums und Irland damit doch noch ein Märtyrer geschenkt wurde. Der Exodus der Israeliten aus Ägypten wurde ebenfalls als ein Aufruf zur Peregrinatio interpretiert. Im Neuen Testament sind die schon zitierten Stellen der Kilianslegende aus Mt 16,24-28, Lk 9,23-27 (aber auch Mk 8,34-38), die den Zusammenhang von Nachfolge und Selbstverleugnung thematisieren, grundlegend, ebenso aber Mt 19.29 (Lk 18,29): „Und jeder, der um meines Namens willen Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Kinder oder Äcker verlassen hat, wird dafür das Hundertfache erhalten und das ewige Leben erben.“ 

Sich als Pilger ganz Gottes Führung ausliefern

Darüber hinaus war für die Iren das freiwillig auf sich genommene Exil, die selbst gewählte Verbannung eine besonders heroische Tat der Selbstverachtung und so auch eine Form des Martyriums. Denn gemäß der irischen Rechtsprechung war die Verbannung die härteste Strafe, war damit doch der Ausschluss aus dem Stamm bzw. Clan verbunden; die gänzliche Schutzlosigkeit war die Folge und ein hohes Maß an Gefährdung des eigenen Lebens. Bei der peregrinatio übers Meer ist noch ein weiterer Aspekt zu nennen, der in der Navigatio Sancti Brendani, eines Berichts aus dem 9. Jahrhundert über die Seefahrt des heiligen Brendanus, eines irischen Abtes des sechsten Jahrhunderts betont wird: Die Gefahren des Meeres, die unberechenbaren Naturgewalten wie Wind und Wellen können zum Mittel eines Gottesurteils werden. Der Peregrinus begibt sich in besonderer Weise in die Hand Gottes und liefert sich seiner Führung aus. 

Für die irischen Wandermönche war, so wenigstens in der Idealvorstellung, das völlige Gottvertrauen leitend. Ihre Kraft fanden sie darin, dass sie im Horizont einer ewigen Heimat im Reich Gottes das irdische Leben nur als eine Übergangs- und Prüfungsphase verstanden. Sie sahen sich daher in erster Linie als Pilger einer Hoffnung, die über diese Zeit und Welt hinausweist. Das deutsche Wort Pilger leitet sich bekanntlich vom Lateinischen „peregrinus“ ab. Der Pilger ist damit der Fremde und Heimatlose um Christi willen. Denken wir an diese Wurzel des Wortes bei unseren modernen Pilgerausflügen? 

Die lateinische Fassung des Mottos des Heiligen Jahre lautet „Peregrinantes in spem“, es führt näher an dessen Kern heran, nämlich als Fremde in dieser Welt unterwegs zu sein. Es geht letztlich um eine Lebensausrichtung, die sich nicht am Wohlbefinden – oder gar Befindlichkeiten – orientiert. Es geht um eine Hoffnung, die sich an den Brüchen und Grenzen unserer Existenz bewährt, und die letzte Grenze ist dabei der Tod. Um das Wort „peregrinatio pro Christo“ zu begreifen, wurde daher im Titel die etwas unbeholfene, aber verdeutlichende Übersetzung „Hinausgehen in die Fremde für Christus“ gewählt; es geht um eine dauernde Pilgerschaft, ohne sich in der Welt einzurichten. Die Härte der Peregrinatio-Vorstellung bei den irischen (Wander-)Mönchen mag heute verstörend erscheinen. Sie erinnert uns aber daran, dass Loslassen befreiend sein kann. 

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Wolfgang Weiß

Von 1999 bis 2023 Professor für Fränkische Kirchengeschichte und Kirchengeschichte der Neuesten Zeit an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg. Forschungsschwerpunkte: Fränkische Kirchengeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart sowie Theologiegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Seit 2003 Vorsitzender des Würzburger Diözesangeschichtsvereins sowie Herausgeber der „Würzburger Diözesangeschichtsblätter“ und der „Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg“.

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Beitragsfoto: Clonmacnoise abbey, Ireland © borisb17 · stock.adobe.com