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Glauben in einer digitalen Welt

Fußspuren am Strand

Glauben in einer digitalen Welt

Wie gemeinsamer Glaube heute noch mehr Freude machen kann

von Hubertus Brantzen

In der zurückliegenden Advents- und Weihnachtzeit bekam ich an jedem Tag per Mail „Sternstunden“ zugeschickt. Da hatte sich jemand die Mühe gemacht, täglich Alltagserlebnisse zu sammeln, die viele liebe Menschen aufgeschrieben hatten. Eine Mutter etwa erzählte, unverhohlen stolz auf ihre Sprösslinge:

„Unsere jüngste Tochter ist bisher eher gemütlich unterwegs. Während ihre zwei großen Schwestern in diesem Alter schon längst mobil waren, lässt sie sich Zeit und betrachtet ihre Umwelt ganz intensiv. Aber jetzt kugelt auch sie sich durch den Raum. Als ich ins Wohnzimmer komme und erstaunt feststelle, dass sie nicht mehr da ist, wo ich sie hingelegt habe, fällt mein Blick auf drei friedlich spielende Kinder, die, jedes für sich und doch irgendwie miteinander, ganz vertieft in ihrem Spiel sind. Ich freue mich über diesen geschenkten Augenblick der Geschwisterlichkeit!“

Und ein Pfarrer war begeistert darüber, wie seine Advents-predigt verlief:

„Als ich am Sonntagmorgen zu meiner Adventspredigt ansetze, kommt gerade der viermonatige A. mit seinen Eltern herein. Er lächelt mich an, und aus der Predigt wird eine Dialogpredigt. Zwar nicht allzu lange, denn bald hat A. Hunger, und da helfen meine Worte leider nicht weiter… Dafür folgt später ein intensiveres ‚Predigtnachgespräch‘ bei einem ausgiebigen Frühstück.“

Gott schaut durch das Fenster unserer Erlebnisse

Was hat das geschilderte Glückserlebnis der Mutter mit Glauben zu tun? Sie beschreibt ihre innere Erfahrung als „geschenkten Augenblick der Geschwisterlichkeit“. Offenbar interpretiert sie das einmütige Spiel ihrer Kinder als Geschenk, dessen Geber Gott ist. Das, was sie nicht erwartet hat, gleichsam der Überschuss ihrer Erfahrung, nimmt sie als Geschenk des Schöpfers ihrer drei Sprösslinge wahr. Das fröhliche Spiel ihrer Kinder wird gleichsam zum Fenster, durch das Gott in das Leben der sonst sicher geplagten Mutter hereinschaut. Und wovon das Herz voll ist, davon fließt der Mund über: Sie erzählt diese Begebenheit als „Sternstunde“ des Tages und teilt es anderen mit. 

Und die „Sternstunde“ des Pfarrers? Wenn es um einen Profi-Glaubenden geht, der etwas während des Gottesdienstes erlebt, dann liegt es nicht fern zu vermuten, dass es hier um etwas in Sachen Glauben geht. Doch seine „Sternstunde“ handelt von etwas Besonderem, von einer Kommunikation mit einem vier Monate alten Baby. Was daran „Dialog“ war, bleibt unserer Phantasie überlassen. Vielleicht hatte er den kleinen A. – nennen wir ihn einfach Andreas – vor kurzem getauft oder dessen Eltern besucht. Dann könnten seine Dialog-Predigt-Worte so gelautet haben: „Ach, da kommt ja der kleine Andreas mit seinen Eltern! Wir kennen uns schon. Hast wohl deine Eltern heute Morgen schon auf Trab gehalten. Toll, dass ihr es doch noch geschafft habt. Ich wünsche dir und deinen Eltern einen schönen Gottesdienst!“ Und der Kleine wird als Antwort einen freudigen Jauchzer ausgestoßen haben, der in der ganzen Kirche zu hören war. Eine „Sternstunde“ in Raum des Glaubens, über die es sich lohnt, nach dem Gottesdienst in einem Predigtnachgespräch genauer nachzudenken.


Hubertus Brantzen

Prof. Dr., Pastoraltheologe, Mainz.

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Beitragsbild: © © Alexander Ozerov · stock.adobe.com