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Gott wird in der Stille geboren

Gott wird in der Stille geboren

von Hans-Martin Samietz

Ist jemand bereits dadurch „säkularisiert“, dass er oder sie sich entscheidet, anderen von sich aus nicht von Gott zu erzählen? Oder könnte es vielleicht sogar eine hohe Form der Verkündigung sein, das nicht zu tun, anderen von sich aus ausdrücklich von Gott zu erzählen?

Dieser Artikel möchte Mut machen, sich als Christ, als Christin einmal in dieser Haltung auszuprobieren, Gott nicht bringen zu wollen, sondern davon auszugehen, dass er bereits dort anwesend ist, wo ich hinkomme.

„Dein Glaube“ – ein „Jedermanns“-Glaube

Der Theologe Christoph Theobald identifiziert als einen Weg zur Erkenntnis Gottes den von ihm so benannten „Jedermanns“- Glauben (Theobald 2018, Stil, 84ff) und meint dafür in mehreren Heilungsgeschichten des Neuen Testament entscheidende Belege zu finden. Mehrmals nämlich lassen Texte des Neuen Testamentes Jesus einer anlässlich einer Begegnung mit von ihm geheilten Person folgenden Satz zusprechen: „Dein Glaube hat dir geholfen!“ (Mt 9,22; Mk 5,34; 10,52; Lk 7,50; 8,48; 17,19 Lk 18,42). Christoph Theobald erkennt in dieser Wendung einen Hinweis auf einen Glauben, der nicht von außen (etwa durch Zeugnis) in eine Person hineingetragen wurde, sondern einen Glauben, der bereits funktional in ihr („Dein Glaube“) als Lebenswissen vorhanden ist. Ausnahmslos jede Person besitze dieses Wissen, einen solchen Glauben, einen „Jedermanns“– Glauben, will Christoph Theobald festgehalten wissen.

In der ganzen Episode um diesen Satz „Dein Glaube hat dir geholfen“ in Mk 5,34 (Erzählung von der blutflüssigen Frau, Mk 5,21-43) kommt die Vokabel „Gott“ kein einziges Mal vor. Christoph Theobald kommt ausgehend von diesem Befund zu folgender Unterscheidung: Es gebe Menschen, die Jesus nach den Texten des Neuen Testamentes begegnen und anlässlich dieser Begegnung Heilung erfahren und anschließend zu einer ausdrücklichen Gottesbeziehung finden, und solche, bei denen ohne großen Tadel im Text eine solche Ausdrücklichkeit als Reaktion auf den erlebten Heilungsvorgang ausbleibt wie in der Erzählung von der blutflüssigen Frau. Es gibt nach Christoph Theobald „Sympathisanten“ und „Jünger“ Jesu.

Dieser „Jedermanns“-Glaube führt nach Christoph Theobald in den oben gelisteten Texten des Neuen Testamentes zwar in jedem Fall in eine qualifizierte Erkenntnis der Person Jesu, im Fall der blutflüssigen Frau jedoch nicht in eine öffentlich bekundete Erkenntnis, in ein Bekenntnis. Sie wird keine Jüngerin. …

 

Hans-Martin Samietz

Schönstatt-Pater. Mitglied der basis-Redaktion.

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