Gottes Inflation
von Kurt Faulhaber
„Offenbarung“ – ein Wort der Kirchensprache ist auf einmal Streitobjekt. Was ist passiert?
In Peru erzählte mir Bischof Reinhold Nann: Es gibt einen Tag im Jahr, da steigt eine Gruppe Indigener, Nachkommen der Inkas, die Berge hinauf zur Quelle ihres Flusses. Ohne diese gäbe es ihre Dörfer und Felder und Weiden und sie selber nicht. Da dehnte sich nur menschenleere Wüste aus. Der Bischof möchte einmal miterleben, wenn dort oben uralte Riten vollzogen und Gebete gesprochen werden. Die Quelle ist diesen Menschen etwas Göttliches.
Die Lebensräume der Menschen in Amazonien bergen ein Reservoir für die ganze Menschenheit, ein „Reservoir von Leben und Weisheit für den Planeten“, so das Vorbereitungsdokument der derzeitigen Amazonas-Synode (6. – 27. Oktober 2019)
Ein Reservoir, das lehrt, „zu entdecken, wie alles miteinander verbunden ist, jedes Geschöpf zu ehren, das Geheimnis von Gottes Schönheit zu betrachten, das in jedem von ihnen offenbar wird“. Das Territorium ist „ein besonderer Quellgrund für die Offenbarung Gottes.“
Gott heute erfahren?
Dem widerspricht heftig Kardinal Ludwig Müller: „eine falsche Lehre!“ „Schrift und Tradition sind die einzigen Quellen der einen Offenbarung“. Und er zitiert das Konzil: „Es ist keine neue öffentliche Offenbarung mehr zu erwarten.“ Die Offenbarung ist abgeschlossen. Was die Kirche lehrt und die Christen glauben sei lediglich „Interpretation“ der Offenbarung.
Der Kardinal macht einen Vorwurf, der eigentlich die Lösung des Problems in sich birgt: Er sieht das „Hauptproblem“ darin, „dass die Schlüsselbegriffe nicht geklärt und inflationär gebraucht werden“. Er vertritt die wissenschaftliche und lehramtliche Definition von „Offenbarung“. Aber gerade davon will sich die Synode lösen: in aller Welt den Glauben in europäischen Denkmustern zu verbreiten. Das Dokument nennt im selben Satz gleich mehrere Worte zur Wahl: Orte von „Gotteserfahrung“, „Epiphanie“, „Liebkosungen des Gottes“ und eben „Quellgrund für die Offenbarung Gottes“.
Obendrüber stehen die Worte an Mose: „Leg deine Schuhe ab, denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden“. Niemand will im Ernst die Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit der Offenbarung Gottes und seines Namens am brennenden Dornbusch gleichsetzen oder gar übertreffen mit einer Quelle oder dem Urwald indigener Völker. Aber die Bibel selbst preist unbefangen in den Psalmen Gott, der sich im Gewittersturm oder im Lauf der Sonne offenbart, und lehrt uns, so zu beten. Für den verzweifelten Hiob ist es allein das Sich-Offenbaren Gottes in den staunenerregenden Vorgängen der Schöpfung, das ihn Gott erfahren und sein Hadern mit Gott verstummen lässt. …
Foto: © Projekt: Pastoral am Puls