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Herberge für Engel

Herberge für Engel

von Josef Treutlein

Am Schnittpunkt dreier Pilgerwege – Jakobsweg, Fränkischer Marienweg und Via Romea – liegt das Pilgerhaus am „Käppele“, der Wallfahrtskirche hoch über Würzburg. Seit sieben Jahren wohne und wirke ich hier als Seelsorger. Einige Zimmer des ehemaligen Klosters stehen leer. Also haben meine Pfarrhausfrau Ulrike Shanel und ich kurzerhand ein Pilgerhospiz eröffnet. Knapp 700 Pilgerinnen und Pilger durften wir bereits für eine Nacht beherbergen. Sie kommen einzeln oder in kleinen Gruppen und sind erst einmal überrascht: „Oh, ein richtiges Bett! Das ist ja beinahe Luxus!“ Pilgernde Menschen sind nicht verwöhnt. Sie sind mit dem Einfachsten zufrieden. Umso mehr freuen sie sich, dass es hier Einzelzimmer, Dusche, Teeküche und einen Aufenthaltsraum gibt. Und natürlich, dass sie von der Pfarrhausfrau freundlich empfangen und eingewiesen werden.

Kirchlich (un-)geübt

Die Pilgerinnen und Pilger könnten gar nicht unterschiedlicher sein. Jeweils etwa ein Drittel ist katholisch, evangelisch oder ungetauft. Bis auf wenige Ausnahmen nehmen alle das Angebot des Pilgersegens gerne an. Sie erzählen von ihren Motiven, von Pilgererfahrungen und Schicksalen, von Sehnsucht, Sorgen und Dank. Ich erinnere mich an viele, zum Beispiel an eine Pilgerin aus Ostdeutschland, keine 50 Jahre alt. Sie geht mit mir in die Gnadenkapelle, freut sich, dass sie den Pilgersegen empfangen „darf“ und bittet um Verständnis, dass sie kirchlich ungeübt ist. „Ich habe leider von meinen Eltern nichts vom Glauben mitbekommen. Ich finde das schade. Inzwischen habe ich mir meine Religion selber zusammengebastelt.“ Ich lese ihr das Evangelium von den Emmausjüngern (Lk 24) vor, lege es kurz für sie aus und gebe ihr einen Tipp: Sie darf den Satz „Jesus kam hinzu und ging mit ihnen“ auf sich beziehen und das, was sie unterwegs erlebt – Begegnungen, Zufälle, Erlebnisse, Klärungen –  als Gruß von ihm, als sein Geschenk, seine Führung deuten. Ich gebe ihr einen kleinen Gebetstext. Dann spreche ich das Vaterunser und formuliere für sie ein Segensgebet, wobei ich sie – wie jeden Pilger sonst auch – bei ihrem Vornamen anspreche. Und es geschieht, was fast bei allen geschieht: Die Augen glänzen. Es fließen Tränen. Ich darf annehmen, dass „Emmaus“ bei ihr weiterwirkt: „Brannte uns nicht das Herz …“ Ob ihr Weg irgendwann in die Gemeinschaft der Kirche mündet? Ob sie irgendwo den Herrn dann auch „beim Brotbrechen“ erkennt? Jetzt verweilt sie noch einige Zeit vor dem Bild der Gottesmutter, dann nimmt sie ihren Rucksack und geht hinaus. Ich kann nur für sie beten, und das tue ich immer wieder bei den Fürbitten im Gottesdienst: „Für alle, die als Pilger und Wallfahrer zum Käppele kommen; für alle, die etwas in das Anliegenbuch hineingeschrieben haben.“

 

Josef Treutlein

langjähriger Gemeindepfarrer, tätig in der Geistlichen Begleitung, Wallfahrtsseelsorger der Diözese Würzburg, Mitglied im Schönstatt-Institut Diözesanpriester.

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Foto: © Josef Treutlein