Hinterm Horizont geht’s weiter
Eigene Grenzen kennen und weiten
von Klaus Glas
Wir schreiben das Jahr 1979. In einem ehemaligen Kloster in New Hampshire sind für eine Woche acht 80-jährige Männer untergebracht. In den alten Gemäuern ist alles so eingerichtet, als ob die Zeit um 20 Jahre zurückgedreht worden wäre: die Männer leben eine Woche lang so, als ob sie im Jahr 1959 wären. In einem Raum summt ein Besucher zu der Moritat von Mackie Messer, während sich eine Vinylscheibe mit den Songs der Dreigroschenoper auf dem alten Schallplattenspieler dreht. Die Männer bereiten das Mittagessen vor und machen hernach den Abwasch. Dabei unterhalten sie sich belustigt über einen Zeitschriftenartikel. Da ist von einer schlanken Plastikpuppe die Rede, die der Spielzeug-Konzern Mattel unter dem Namen „Barbie“ auf den Markt gebracht hat. Viel zu schnell geht die Zeit-Reise vorbei.
Die Senioren waren Teilnehmer der so genannten „Counterclockwise“-Studie, die von der US-amerikanischen Psychologin Ellen Langer geleitet wurde. Mit ihrem Team hatte sie zeitgleich eine Gruppe von Männern begleitet, die in ihrem alten Leben zu Hause geblieben waren. Vor und nach Beginn des Experimentes wurden alle Teilnehmer getestet. Das Ergebnis der Untersuchung war erstaunlich: die alten Herren, die sich auf Zeit-Reise in die Vergangenheit begeben hatten, waren im Vergleich zu den Daheimgebliebenen mental und körperlich jünger geworden! Sie erreichten in der einen Woche höhere Werte in einem Intelligenztest. Zudem änderte sich ihr körperlicher Zustand signifikant: die Sehkraft verbesserte sich, ebenso das Hörvermögen. Sie waren körperlich mobiler und der Griff ihrer Hände fester als zuvor. Die Offenheit, sich auf das Experiment einzulassen, und die gemeinsamen Aktivitäten hatten bewirkt, was keiner für möglich gehalten hätte: die Grenzen, die das Alter dem Erleben, Denken und Tun setzt, konnten geweitet werden.
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