Im Vertrauen auf Gott etwas Neues wagen
Geistpflege in Extremsituationen
von Elmar Busse
Tatjana Goritschewa, 1947 in Leningrad geboren, wurde 1973 Christin. 1980 wurde sie aus der Sowjetunion ausgewiesen, 1988 konnte sie zurückkehren. In ihrem Essay „Hiobs Töchter“ beschreibt sie die Schicksale von vielen Dissidentinnen. Unter anderem schreibt sie: „Es gab auch riskantere Dinge. Da stellten wir etwa in der Küche der Dmitriews den Aufruf an die sowjetischen Männer gegen den Krieg in Afghanistan zusammen. Er gipfelt in der Aufforderung: „Zieht das Gefängnis im eigenen Land einem schändlichen Tod in der Fremde vor!“ Dann mussten wir den Text westlichen Diplomaten übergeben, damit er durch westliche Sender wieder zu uns zurückgelangen konnte. Das war ein weiterer Schritt nach vorn, in eine gefährliche Richtung – zur Verhaftung, zum Gefängnis, in die psychiatrische Klinik. Das Leben wurde immer „eschatologischer“, immer spannender. Es ist schön, jeden Tag so zu leben, als ob er der letzte sei. So muss es ein Christ auch machen. Ich fühlte mich zum Risiko, zum Abenteuer hingezogen. Es war ein angenehmes Gefühl. Alles konnte in einer Sekunde zum Spiel werden. Doch man braucht die Kühnheit, „um sich im Herrn mit Furcht zu freuen“ und „um für ihn mit Zittern zu arbeiten“.“ [S.48]
Es ist für uns, die wir in einer Demokratie mit Religionsfreiheit und vielen anderen Menschenrechten wie selbstverständlich leben, schwer, diese gewachsenen Haltungen der Dissidentinnen nachzuvollziehen. Es kommt einem vielleicht auch das berühmte Zitat aus dem Film „Der dritte Mann“ in den Sinn: Da sagt der Schauspieler Orson Welles als der Verbrecher Harry Lime: „Im Italien unter den Borgias herrschten 30 Jahre lang Terror und Mord, aber die Zeit brachte Michelangelo und die Renaissance hervor. In der Schweiz herrschte 500 Jahre Friede. Und was haben sie hervorgebracht? Die Kuckucksuhr.“
Kreuzesliebe als Weg der inneren Freiheit
Pater Josef Kentenich sah das etwas anders. Er war der Überzeugung, dass das, was in der Hölle von Dachau Häftlingen geholfen hatte, nicht zu zerbrechen, auch in weniger extremen Situationen eine Hilfe zur Lebensbewältigung aus dem Glauben sein könne. Das war sein Motiv, weshalb er nach dem Krieg die Sammlung der Dachauer Gebet „Himmelwärts“ herausgab und breiteren Kreisen zugänglich machen wollte, auch wenn ihm klar war, dass der holprige Stil der Knittelverse für ästhetisch angehauchte Literaten ein Gräuel sein musste. Es kam ihm auf die Inhalte und auf die beschriebenen Lebensprozesse an. Ein immer wiederkehrendes Thema war die bedingte Kreuzesliebe als Weg in die innere Freiheit. …
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Beitragsfoto: © Joseph Maniquet · stock.adobe.com