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In den Zwischenräumen der Schöpfung

In den Zwischenräumen der Schöpfung

Warum die Gegensätze der alttestamentlichen Schöpfungserzählung keine Ausschließlichkeiten feststellen

von Peter Göttke

Schöpfung, das war, wenn Sie sich noch an den Anfang dieses Jahres erinnern, das Thema, bevor es von Corona abgelöst wurde. Fridays for Future, Initiativen und Talkshows – alles hat sich auf irgendeine Weise mit der Umwelt befasst, mit der Schöpfung. Auch wenn ER, der Schöpfer, oft nicht ausdrücklich erwähnt wurde, so ist er für gläubige Menschen doch immer mitgedacht. 

Gleichzeitig ist das, was uns die Bibel vom Anfang berichtet, für viele Menschen schwer zu verdauen, scheint es doch auf den ersten Blick allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu widersprechen. 

Im zweiten Hinsehen kann man entdecken, dass es hier nicht so sehr um einen Widerspruch in den verschiedenen Aussagen von Bibel und Wissenschaft geht, als vielmehr um unterschiedliche Fragen, die sie beantworten. 

Randpunkte eines Spektrums 

Die Bibel will in ihrer Schöpfungserzählung nicht die Frage beantworten, wie alles entstand und welche Vorgänge abliefen – das ist eine moderne Fragestellung. Sie will die Glaubensüberzeugung deutlich machen, dass Gott hinter allem steht, dass es sich also nicht um etwas Zufälliges handelt, sondern dass in ihm ein kreativer Wille, eine schöpferische Idee zu finden ist. Dies tut sie in den Denkkategorien ihrer Zeit und ihrer Umwelt durch eine Erzählung in bildhafter Sprache. Die Bilder, die sie hier verwendet, gehören zum Erbe der Menschheit und finden sich auch in anderen Kulturen und ihren Überlieferungen wieder. 

Das Buch Genesis beginnt demgemäß die erste Schöpfungserzählung mit den Worten: „Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde“ und macht damit schon in einer Art Auftakt deutlich, worum es im Folgenden geht. Menschliches Denken und Erklären verläuft oft mit Hilfe von Gegensätzen. Wir erklären hell mit dunkel, warm mit kalt. Gleichzeitig wissen wir, dass Warm und Kalt keine festen Größen sind, sondern dass sie in Grad Celsius, Fahrenheit oder Kelvin gemessen werden, ähnlich wie bei Leuchtmitteln der Lux-Wert den Grad der Helligkeit bestimmt. Wenn wir aus diesem Blickwinkel auf die Schöpfungserzählung schauen wird deutlich, dass es auch hier nicht um feste Größen, sondern um Randpunkte eines Spektrums geht, das die Zwischenräume mitdenkt und so eine Gesamtheit ausdrückt. Dies wird begreiflicher, wenn man sich diese Punkte genauer anschaut, die wie Teile eines Rahmens wirken, in die das Gesagte und seine mitzudenkende Ergänzung dann wie ein Bild eingespannt wird. 

So fährt das Buch Genesis fort: „Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. … Und Gott schied das Licht von der Finsternis. Und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht.“ 

Tag und Nacht, Licht und Finsternis, krasser als mit diesen Begriffen kann der Gegensatz von Hell und Dunkel nicht beschrieben werden. Doch wer sich mit diesen Gegensätzen allein zufrieden gibt, verliert viel von der Tiefe des Bildes. Ich meine hier jene Zwischenstufen vom ersten bisschen Licht, das uns hilft, Umrisse so langsam wahrzunehmen, über die Morgendämmerung und den goldgelben Sonnenball, der langsam am Horizont aufsteigend den Tag ankündigt, bis hin zum versinkenden Abendrot, das der Nacht weicht. All jene Phänomene, mit denen der Schöpfer die Endpunkte von Tag und Nacht, Licht und Finsternis verbunden hat, liegen irgendwo dazwischen. Diese Zwischenräume zu ignorieren, hieße, den Text nicht ernst zu nehmen, ihn nicht wirklich zu verstehen. 

„Dann sprach Gott: Es werde ein Gewölbe mitten im Wasser und scheide Wasser von Wasser. … Und Gott nannte das Gewölbe Himmel. … Dann sprach Gott: Es sammle sich das Wasser unterhalb des Himmels an einem Ort und das Trockene werde sichtbar. … Und Gott nannte das Trockene Land und die Ansammlung des Wassers nannte er Meer.“ …

 

Peter Göttke

Dekan, Leiter des Pilotprojektes „Pastoraler Raum St. Benedikt“ im Dekanat Kitzingen mit derzeit 24 und später 32 Kirchorten.

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