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In die Sendung Christi gesalbt

In die Sendung Christi gesalbt

Warum es eine neue theologische Justierung zwischen dem gemeinsamen Priestertum und dem des Dienstes brauch

von Joachim Schmiedl

„Du bist Glied des Volkes Gottes und gehörst für immer Christus an, der gesalbt ist zum Priester, König und Propheten in Ewigkeit“. Diese Worte bekommt jedes Kind/jeder Erwachsene bei der Taufe zugesprochen. Sie drücken aus, was die Würde des Menschen ausmacht. Jenseits aller Unterschiede in Geschlecht, Persönlichkeit und Rangordnungen sind alle Christgläubigen in dieses dreifache Amt Christi hineingenommen: Priester, König und Prophet zu sein. Im Neuen Testament stehen Aussagen der absoluten Gleichheit aller, wie sie in Gal 3,28 („ihr alle seid einer in Christus Jesus“) formuliert sind, neben der Aufteilung der Arbeiten („Es gibt verschiedene Dienste“ – 1Kor 12,5). Aus der Notwendigkeit, einer wachsenden Gemeinschaft von Getauften und solchen, die sich um die Taufe bewarben, eine Struktur zu geben, entwickelten sich getrennte Ämter: für die Feier der Eucharistie, für die Katechese und für den caritativen Dienst. Das Leitungsamt für eine bestimmte Region war auf eine einzige Person konzentriert, nämlich den Bischof. Da mit Leitung immer auch Macht verbunden ist, zogen auch Missstände ein. Im späten Mittelalter bildeten die „Kleriker“ eine eigene Kaste mit Privilegien, deutlich abgehoben vom übrigen Gottesvolk.

„…was aus der Taufe gekrochen ist“

Daran entzündete sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Reformation Martin Luthers. Obwohl selber dem privilegierten Klerikerstand angehörend und als Professor-Mönch in einer herausgehobenen Position in der sächsischen Residenzstadt Wittenberg, entdeckte er die im Taufritus nach wie vor präsente urchristliche Wahrheit wieder, dass alle am Priestertum Christi teilhaben. In seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“ schrieb er 1520:

„Alle Christen sind wahrhaft geistlichen Standes, und ist unter ihnen kein Unterschied dann des Amts halben allein. … Demnach so werden wir allesamt durch die Taufe zu Priestern geweiht. … Was aus der Taufe gekrochen ist, das mag sich rühmen, dass es schon Priester, Bischof und Papst geweiht sei, obwohl es nicht jedem ziemt, dieses Amt auch auszuüben.“

Die eigentliche Priesterweihe ist für Luther demnach die Taufe. Das daraus entstehende Selbstbewusstsein wollte er allen Getauften wieder vermitteln. Das enthob ihn jedoch nicht der Notwendigkeit, in den Gemeinden Dienste und Ämter einzuführen und diese mit Vollmacht zu versehen, nach neutestamentlichem Vorbild übertragen durch Gebet und Handauflegung. Die Ordination von Männern – Frauen kamen erst nach dem Zweiten Weltkrieg dazu – blieb in der Spannung zur Lehre vom allgemeinen Priestertum. 

Die katholische Antwort

Auf dem Konzil von Trient antwortete die römische Kirche mit einer starken Betonung des amtlichen Priestertums. Den Bischöfen wurde ihre Verantwortung für ihre Diözese eingeschärft, den Pfarrern die Aufgabe der Predigt neu übertragen, ihre Pflicht zur Residenz in ihrer Pfarrei betont und vor allem die Spendung der Sakramente exklusiv den geweihten Priestern vorbehalten. Die „Priesterkirche“ des lateinisch-römischen Ritus prägte die Catholica in Europa und den neu christianisierten Kontinenten, vor allem in Lateinamerika, bis in die Gegenwart.

Die biblisch fundierte Idee der Gleichheit aller Gläubigen blieb aber immer lebendig. Im Protestantismus wurde sie etwa realisiert in den Hauszirkeln des Pietismus und in freikirchlichen Aufbrüchen, die sich jenseits der landeskirchlichen Strukturen bildeten. Besonders wirksam waren die diakonischen Gemeinschaften des 19. Jahrhunderts im Umkreis der Inneren Mission und der Diakonissenbewegung.

Auch auf katholischer Seite wollte und konnte man nicht alles den Priestern überlassen. Das Moment der Gleichheit aller war in den Ordensgemeinschaften immer lebendig geblieben. Und auch in der katholischen Kirche entstanden ab der Mitte des 19. Jahrhunderte viele Vereine und Verbände, die ihre Gründung und Leitung der Initiative von Laien verdankten. Sie setzten das mittelalterliche Modell der Bruderschaften in moderner Form fort und engagierten sich in den Bereichen von Bildung, religiöser Praxis, nach Berufsgruppen gegliederten Zusammenschlüssen bis hin zu Gewerkschaften. Hier kehrte sich das Verhältnis um: Auch Priester konnten mitwirken, aber nur nach Zustimmung der Laienführung. Dieses deutsche Modell fand seine Spitze in den jährlich stattfindenden Katholikentagen, einer „Heerschau“ der Verbände.

Das Zweite Vatikanum

Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurden diese Entwicklungen in zweifacher Weise aufgegriffen: Dem Laienengagement wurde im Dekret über das Laienapostolat eine Richtung gewiesen. Zum Priestertum aller Gläubigen hieß es in typisch konziliarer Sprache in der Konstitution über die Kirche:

„Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen aber und das Priestertum des Dienstes, das heißt das hierarchische Priestertum, unterscheiden sich zwar dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach. Dennoch sind sie einander zugeordnet: das eine wie das andere nämlich nimmt je auf besondere Weise am Priestertum Christi teil. Der Amtspriester nämlich bildet kraft seiner heiligen Gewalt, die er innehat, das priesterliche Volk heran und leitet es; er vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes Gott dar; die Gläubigen hingegen wirken kraft ihres königlichen Priestertums an der eucharistischen Darbringung mit und üben ihr Priestertum aus im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe.“ (Lumen gentium 10)

Anders als Luther spricht das Konzil von einem „gemeinsamen Priestertum“, das alle Getauften eint. Es macht aber genauso deutlich, wie sehr sich dieses gemeinsame vom besonderen Priestertum unterscheidet. Doch im Unterschied zum damals noch geltenden Kirchenrecht, nach dem die Gläubigen vor allem dadurch definiert waren, dass sie vom Klerus pastoriert werden sollten, ihnen aber keine eigenen Rechte zukamen, bezeichnet das Konzil das christliche Zeugnis als eine wesentliche Aufgabe. Zu den „Laien“ gibt es noch ein eigenes Kapitel in der Konstitution, doch allem voran stehen diese grundlegenden Zeilen zum gemeinsamen Priestertum im Kapitel über das Volk Gottes. Erst danach spricht das Konzil über die hierarchische Struktur der Kirche, nämlich die theologische Lehre über Bischöfe und Priester.

Wo stehen wir heute? Das Wissen darum und noch mehr das Bewusstsein davon, dass wir als Getaufte alle eine gleiche Berufung haben, ist seit dem Konzil gewachsen. Priester können immer weniger Aufgaben übernehmen, weil sie weniger geworden sind (und in den nächsten Jahren signifikant noch einmal an Zahl abnehmen werden). Deshalb ist das Aufgabenspek-trum der „Laien“ immer größer geworden. Da braucht es auch eine neue theologische Justierung zwischen dem gemeinsamen Priestertum und dem des Dienstes. Die Ämterfrage spielt dabei eine große Rolle. Noch mehr aber sollte das im Vordergrund stehen, was alle Christen eint – die Würde der Salbung in die priesterliche, königliche und prophetische Sendung Christi.

 

Joachim Schmiedl

Prof. Dr. theol., Schönstatt-Pater, Professor für Mittlere und Neue Kirchengeschichte Vallendar, stellv. Vors. des Katholisch-Theologischen Fakultätentags, Chefredakteur von „Regnum“.

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