Kompetenzen kann man lernen
Kritik annehmen und angemessen äußern
von Klaus Glas
Nach längerem Überlegen entscheidet sich die schüchterne Corinna M. (37) für eine neue Frisur für den Frühling. Beim Kaffeetrinken auf der Terrasse machen ihr vier Freundinnen Komplimente. Eine weitere Bekannte, die hinzukommt, begrüßt sie: „O je, welcher Kopfgärtner hat Dich denn zugerichtet?“ Corinna ist sichtlich geknickt. Anderntags geht sie zur Friseurin und lässt Änderungen vornehmen. Zuhause angekommen ist sie alles andere als zufrieden.
Paul S. (60) ist Schulleiter einer Beruflichen Schule. Gegenüber einem Abteilungsleiter, den er seit der Studienzeit kennt, äußert er in scharfem Ton: „Du bist eine Enttäuschung für mich. Ich wünschte, Du würdest an eine andere Schule wechseln.“ Der kritisierte Pädagoge, der im Kollegium für sein gewissenhaftes Engagement bekannt ist, ist sprachlos: Er reagiert gekränkt und lässt sich zwei Wochen lang krankschreiben.
Konflikte sind normal
Konflikte kommen häufig vor. Sie sind normal, weil Menschen unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen haben und diese befriedigen beziehungsweise durchsetzen wollen. Zwischenmenschliche Probleme entwickeln sich zumeist wegen der Art und Weise, wie Konflikte ausgetragen werden. Augenfällig ist das bei Paaren: Zufriedene und unzufriedene Paare geraten über dieselben Themen in Streit. Aber glückliche Paare gehen anders damit um: Sie liegen sich im Unterschied zu Eheleuten, die sich auseinandergelebt haben, weniger häufig, weniger heftig und weniger lang in den Haaren. Auf eine negative Äußerung reagieren sie eher gelassen. Wenn es dennoch mal laut hergeht, versöhnen sie sich schnell wieder. Intuitiv orientieren sie sich an der Lebensweisheit des Apostels Paulus, der mahnte: „Lasst euch durch den Zorn nicht zur Sünde hinreißen! Die Sonne soll über eurem Zorn nicht untergehen.“ [Eph 4, 26]
Soziale Fertigkeiten sind hilfreich
Psychologen unterscheiden vier Grundbedürfnisse, die jedem Menschen innewohnen: Das Bedürfnis nach Bindung, nach Kontrolle, nach Lustgewinn und nach Selbstwert-Erhöhung. Wenn es gelingt, Beziehungen so zu gestalten, dass zentrale psychische Bedürfnisse befriedigt werden, erfreut man sich mit hoher Wahrscheinlichkeit einer guten körperlichen und seelischen Gesundheit. Soziale Fertigkeiten wie Kritik gelassen auszuhalten und Wünsche angemessen zu äußern sind für ein gedeihliches Miteinander unerlässlich. „Eine wichtige Fähigkeit ist, Angriffe auszuhalten und auch einzustecken und nicht bei jeder harten Formulierung, die mich attackiert und konfrontiert, sogleich einzuschnappen oder in totale Gekränktheit zu verfallen. Die Streitbarkeit gehört unbedingt zur kommunikativen Grundausstattung“, betont der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun. Eine hohe soziale Kompetenz hat diejenige Person, die ihre Beziehungen so gestaltet, dass sie viele positive Erfahrungen im Sinne der seelischen Grundbedürfnisse macht.
Typische soziale Situationen, in denen man sich bewähren sollte, sind Kontakt aufnehmen, Recht durchsetzen und Bindungsbeziehungen gestalten. Im ersten Fall geht es darum, auf eine fremde Person, die man sympathisch findet, zuzugehen und ein Gespräch zu beginnen. Etwas anderes ist es, sein Recht einzufordern, etwa wenn man ein defektes Produkt umtauschen will. In engen und dauerhaften Beziehungen (Ehe und Familie, Gruppen, Geistliche Gemeinschaften) geht es nicht darum, sich um jeden Preis durchzusetzen, sondern Opferbereitschaft zu signalisieren und zu zeigen.
Sicher, schüchtern, aggressiv?
Jeder zehnte Bundesbürger hat eine schwierige Persönlichkeit. Wenn man privat oder am Arbeitsplatz mit solchen Menschen zu tun hat, erlebt man unvermittelt ein Störgefühl. Er oder sie formuliert eigene Bedürfnisse nicht adäquat, er oder sie ist übertrieben misstrauisch, er oder sie reagiert empfindlich auf eine humorvolle Bemerkung, er oder sie zeigt einen plötzlichen Stimmungs- oder Verhaltenswechsel, ohne dass man überhaupt etwas gesagt hätte. Psychotherapeuten diagnostizieren eine Persönlichkeitsstörung, wenn der Interaktionsstil eines Menschen exzentrisch, launisch oder zwanghaft ist und bei ihm oder ihr ein erheblicher Leidensdruck im familiären oder beruflichen Kontext besteht. In der kognitiven Verhaltenstherapie können die Betroffenen klären, wie sie ihr Leben gelingender als bisher gestalten möchten. Es werden Charakterstärken identifiziert, die sie schrittweise im sozialen Miteinander einsetzen können. Kognitiv trainiert man wiederholt einen Perspektivwechsel, der die Grundlage dafür bildet, sich in andere einzufühlen.
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