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Kraftquellen im Alltag

Kraftquellen im Alltag

Psychosoziale Ressourcen für ein gesundes Leben 

von Klaus Glas

Lisa und Johannes machen eine Hüttentour in den Alpen. Am Morgen des vierten Tages schauen die beiden hinauf zum Berggipfel, den sie an diesem Tag erreichen wollen. Der 20-Kilo-Rucksack drückt schwer auf den Schultern des jungen Mannes. Er ist müde, weil er in der Nacht kaum Schlaf finden konnte. „Heute wird’s anstrengend werden, so steil, wie’s hier nach oben geht. Die Gehzeit in der Wander-App schaffen wir nicht; da kommen noch anderthalb Stunden oben drauf.“ Lisa sagt: „Lass uns erst mal losgehen. Zwischendurch können wir Rucksack-Tausch machen: Dann kriegst Du meinen Daypack; das macht’s Dir leichter. Bergumarmung?“ Die beiden umarmen sich samt den Rucksäcken, geben sich ein Bussi und stapfen los.

Wenn wir einen schweren Rucksack auf dem Buckel tragen, schätzen wir einen Berg steiler ein als er in Wirklichkeit ist. Ist man müde, scheint ein Wanderziel weiter weg zu sein, als es ist. Stets sehen wir die Welt nicht wie sie ist, sondern wie wir sind. Wie wir die Dinge wahrnehmen und bewerten, ist abhängig von vergangenen und gegenwärtigen Lernerfahrungen. Sind wir mit einem Freund unterwegs, wirkt ein Berggipfel weniger bedrohlich und leichter erreichbar. Der Gefährte hat einen Einfluss auf mein Wahrnehmungs-Set, jene Annahmen und Erwartungen, die mir helfen, mich in der Welt zurechtzufinden. „Die bloße Anwesenheit einer anderen Person kann von Vorteil sein, vor allem, wenn diese uns nicht abwertet, sondern emotional unterstützt“, sagt der Psychologe Dennis Proffitt.

Gesegnete Mahlzeit 

Viele würden den Vorgang, bei dem man alleine in ein Käsebrot beißt, nicht als Mahlzeit bezeichnen. Ein „Dinner for One“ ist nur als Fernseh-Sketch am Silvestertag lustig. Die Nahrungsaufnahme kann segensreich sein: wenn Vater, Mutter und Kinder zusammen am Tisch Platz nehmen. Damit das Zusammen-Essen positiv erlebt wird, braucht es einige psycho-soziale Zutaten: eine entspannte Atmosphäre, hochwertige Nahrungsmittel auf den Tellern, einen ausgeschalteten (!) Fernseher, ausreichend Zeit zum Reden und Eltern als Vorbilder für gutes Ernährungsverhalten. Kinder greifen nämlich innerhalb weniger Sekunden nach der gleichen Speise, die Vater oder Mutter zuvor in ihren Mund geschoben haben. Gemeinsame Mahlzeiten, sagen Experten, seien eine Möglichkeit, um Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen erfolgreich vorzubeugen. Für die gesundheitliche Entwicklung der Kinder ist der  Familienzusammenhalt wahrscheinlich der wichtigste Wirkfaktor. „Wie eine Familie gemeinsam isst, ist genauso wichtig oder sogar wichtiger als die Häufigkeit der gemeinsamen Mahlzeiten“, resümiert Ralph Hertwig, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin.

Der britische Psychologe Robin Dunbar hat untersucht, wann ein Mahl wunderbar erlebt wird. Neben leckeren Gerichten braucht es seinen Befragungen zufolge drei Dinge: Klönen, Lachen und Alkohol. Menschen sind glücklich, wenn sie bei einem Glas Wein oder Bier gemeinsam in Erinnerungen schwelgen und dabei herzhaft lachen. Leute, die gerne mit anderen speisen, sind im übrigen psychisch gesünder und verfügen über ein größeres soziales Netzwerk. Beiläufig fand man heraus, dass sich vor allem beim Abendessen Gefühle der Verbundenheit einstellen.

Die Tischgemeinschaft beim abendlichen Mahl ist in vielen europäischen Ländern am Zerbröseln. Und wenn die Familie einmal am Tag zusammenkommt, sitzt gleich die halbe Welt mit in der Küche. Weil die Kids auf ihren Smartphones wischen, statt sich ein Brot zu schmieren. Der Psychiater Manfred Spitzer warnt vor schädlichen Einflüssen übermäßiger Handy-Nutzung. Dazu gehört Cybermobbing, bei dem Kinder und Jugendliche von Gleichaltrigen bedroht, beleidigt oder belästigt werden. Einer Online-Befragung zufolge war hierzulande 2022 fast jeder fünfte Schüler Opfer von Cybermobbing. Belastende Auswirkungen von Belästigungen können durch die Pflege des Familienabendessens abgemildert werden. Das zeigt eine Studie aus den USA, bei der mehr als 18.000 Schüler einbezogen wurden. Bei Tisch können Probleme zur Sprache kommen. Die bedrückten Heranwachsenden sind mit ihren Sorgen nicht mehr allein. Wo eine Gesprächskultur gepflegt wird, kann medial vermittelter Stress eingedämmt werden. „Je mehr ein Jugendlicher das Internet nutzt, umso wichtiger werden gemeinsame Mahlzeiten für dessen seelische Gesundheit“, betont Spitzer.

Schlafe selig und süß

25 Jahre verbringen wir schlafend, in (hoffentlich) himmlischer Ruh’. Während eines achtstündigen Schlafes verbrennen wir nur 50 Kalorien weniger als am Tag. Das Alarmsystem im Kopf ist immerwährend im Stand-by-Modus und scannt die Umgebung im Hintergrund auf mögliche Gefahren ab. Mütter mit kleinen Kindern kennen das; sie hören den kleinsten Mucks ihres Babys, schlafen aber ungerührt weiter, wenn draußen ein lauter Laster vorbeifährt. 

Nach dem ersten Tiefschlaf wird man wieder wacher. Es folgt eine kurze Traumepisode. Dann fällt man wieder in tiefen Schlaf. Dieses Muster wiederholt sich vier- bis sechsmal in der Nacht. Der Schlaf gleicht einer Berg- und Talfahrt, bei der sich Ruhe- und Aktivitätsphasen abwechseln. Ein Viertel der Zeit verträumen wir buchstäblich. Die Tiefschlafphasen in der ersten Nachthälfte sind wichtig. In dieser Zeit verknüpft das Gehirn Erlebnisse des Tages mit vergangenen sozialen Erfahrungen. Wer für eine Prüfung lernt, sollte auf genügend Schlaf achten, denn das tagsüber online Gelernte wird nachts offline mehrfach wiederholt und erst dann dauerhaft in unterschiedlichen Gehirnregionen abgespeichert. In der Mitte der Nacht wird das Schlafhormon Melatonin ausgeschüttet. Dieses sorgt dafür, dass Kinder ein bisschen mehr wachsen und Erwachsene neue Körperzellen bilden. Das Immunsystem macht eine Nachtschicht. Es sorgt dafür, dass wir im Krankheitsfall schnell wieder auf die Beine kommen. Der Herr gibt’s den Seinen buchstäblich im Schlaf. 

Verbunden leben 

Die Beatles haben recht: With a little help from our friends geht uns manches leichter von der Hand. Nach der Pufferhypothese fördert die sozial-emotionale Unterstützung von Freunden und Bekannten die eigene Gesundheit, weil negative Stressfolgen abgebremst werden. Ehepartner, die sich wertgeschätzt fühlen, nehmen belastende Ereignisse weniger bedrohlich wahr. 

Forscher verabreichten glücklich verheirateten Frauen, während sie in einem fMRT-Scanner lagen, elektrische Schläge am Fußknöchel. Ein Teil der Frauen durfte die Hand ihres Partners halten. Während die Frauen auf den nächsten Elektroschock warteten, beobachteten Forscher die Gehirnareale, die auf Bedrohung ansprechen. Im Vergleich zu Frauen, die alleine mit der schmerzhaften Prozedur klar kommen mussten, fand man bei den von ihren Gatten unterstützen Frauen weniger Bedrohungshinweise im Gehirn.

„Soziale Unterstützung das Gefühl, von guten Freund:innen und der Familie gemocht, bestätigt und ermutigt zu werden macht nicht nur glücklich, sondern erhält auch gesund“, schreiben die Sozialpsychologen David G. Myers und C. Nathan DeWall („Psychologie“, Springer). Die segensreichen Auswirkungen von sozialer Unterstützung konnte in Studien, die mehr als 3,4 Millionen Versuchspersonen aus aller Welt einschloss, bestätigt werden. In Bezug auf die körperlich-seelische Gesundheit ist eine gute Ehe in ihrer Wirksamkeit vergleichbar mit einer gesunden Ernährung oder körperlicher Aktivität. 

Wenn Johannes demnächst allein in einer schwierigen Situation feststeckt, hilft es ihm, wenn er sich vorstellt, was Lisa ihm zur Aufmunterung sagen würde. Dann kann er motivierter sein Ziel festlegen und sich gelassener auf den Weg machen. So erlangt er eine bessere seelische Trittsicherheit im Leben. Das gilt im übrigen auch, wenn wir uns tagsüber mit Gott verbinden. Zeichnen Sie mit dem Kugelschreiber einen blauen Punkt auf ihren linken Handrücken. Jedes mal, wenn Sie diesen beiläufig erblicken, denken Sie: „Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“ (Apg 17, 28). 

Klaus Glas

Klinischer Psychologe in eigener Praxis,
www.hoffnungsvoll-leben.de mit psychologisch-pädagogischen Lebenshilfen.

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Beitragsfoto: © kin · stock.adobe.com

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