„Macht den Raum des Zeltes weit!“
Wie der Dialog mit Andersdenkenden gelingt
von Klaus Glas
Petra (58 J.) denkt mit Beklemmung zurück an die Zeit der Corona-Pandemie. Denn sie gehörte zu jener Gruppierung, die sich gegen die Corona-Impfung entschieden hatte. Sie war bei manchen „Montagsspaziergängen“ dabei und sprach sich gegen die Impfpflicht aus. Sie reagierte empört, als von der „Pandemie der Ungeimpften“ die Rede war. Die Bio-Lehrerin diskutierte viel mit ihren Lehrerkollegen und -kolleginnen. Sie war am Boden zerstört, als ausgerechnet ein befreundeter Kollege sie kühl abwies: „Mit Leuten, die Verschwörungstheorien verbreiten, rede ich nicht.“
Zunehmende Polarisierung?
Vor der Corona-Krise war uns Polarisierung vor allem bekannt aus Medienberichten über die US-Politik. Diese wird faktisch von einem Zweiparteien-System bestimmt. Der ruppige Umgangsstil zwischen Republikanern und Demokraten erreichte unter Präsident Donald Trump ihren traurigen Höhepunkt. Gesellschaftliche Polarisierung ist auch in der Bundesrepublik erkennbar. Auf der einen Seite steht etwa Sahra Wagenknecht. Sie ist überzeugt, dass man bereits im März 2022 einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg hätte erreichen können; die USA und Großbritannien hätten das Vorhaben verhindert. Die Linken-Politikerin und die Publizistin Alice Schwarzer riefen in einem „Manifest für den Frieden“ dazu auf, Kompromisse auf beiden Seiten zu machen „mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern“. Auf der anderen Seite wurde dieser Friedensappell von dem Politologen Herfried Münkler als „gewissenlos“ bezeichnet. Die Initiatorinnen würden mit ihrem „kenntnislosen Dahergerede Putins Geschäft“ betreiben.
Eine spürbare Polarisierung gäbe es auch in der Katholischen Kirche, sagt der Fuldaer Bischof Michael Gerber in seinem Hirtenwort zum 1. Fastensonntag 2023. Der Seelsorger-Bischof, dem es nicht nur wichtig ist, wie wir leben, sondern wie wir miteinander leben, ruft zu einer „neuen Konflikt-Kultur“ auf. Diese beginne damit, dass wir „Polarisierungen und die zugrundeliegenden Ursachen ernst nehmen.“ Der Umgang mit Spannungen aufgrund gegensätzlicher Überzeugungen dürfe nicht „zur Radikalisierung von Positionen und zur Abschottung gegenüber Andersdenkenden“ führen.
…
Beitragsfoto: © K Abrahams/peopleimages.com · stock.adobe.com