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Männer, Frauen und neue Rollenmuster

Vater backt mit seiner Tochter

Männer, Frauen und neue Rollenmuster

Wie der Megatrend Gender Shift die Gesellschaft beeinflusst

von Markus Hauck

Ein Mann, der zuhause bleibt und sich um Haus und Familie kümmert, damit die Frau Karriere machen kann. Frauen, die bei der Bundeswehr Dienst an der Waffe leisten. Männer, die jenseits des sommerlichen Grillens Spaß am Kochen und womöglich gar am Backen haben. Frauen, die Spaß daran haben, an Autos zu schrauben und Rennen zu fahren. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. 

Fakt ist: Die tradierten sozialen Rollen, die Männern und Frauen in der Gesellschaft zugeschrieben werden, verlieren an Verbindlichkeit. Das Geschlecht verliert zunehmend seine (vermeintlich) schicksalhafte Bedeutung. Den Spruch „Das macht doch kein Junge/kein Mädchen“ hört heute beispielsweise fast keiner mehr von den Eltern oder Verwandten, wenn es um die Berufswahl geht. Veränderte Rollenmuster und aufbrechende Geschlechterstereotype sorgen für einen radikalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft hin zu einer neuen Kultur des Pluralismus. Das Zukunftsinstitut bezeichnet diesen Megatrend als „Gender Shift“. 

Ursprünglich wurde diese Entwicklung als „Female Shift“ tituliert. Beschrieben wurde damit der Wandel einer männerdominierten Gesellschaft, bei dem traditionelle Geschlechterrollen in der Alltags- und Berufswelt aufgelöst wurden und auch Frauen abseits des Familienlebens berufliche Karrieren anstrebten. Überall in den westlichen Ländern siegte die Emanzipation, es wurden neue Gesetze erlassen, die die Frauenrechte stärkten. So stieg unter anderem die Erwerbsbeteiligung der Frauen, und weibliche Karrieren wurden möglich. In den Schwellenländern kam es zu überraschenden Fortschritten in der Mädchen- und Frauenbildung. Die alte Männerherrschaft mit ihrem Machismus und Chauvinismus war auf dem absteigenden Ast. Seit den 1970er Jahren, dem Jahrzehnt der langhaarigen Männer, schien die Feminisierung der Gesellschaft eine gesicherte (Zukunfts-)Bank.

Seit Mitte der 2010er Jahre war vorübergehend eine doppelte Veränderung sichtbar. Zum einen schien die weibliche Emanzipation zu stagnieren: In vielen Ländern gewannen patriarchale, ja sogar reaktionäre Vorstellungen wieder an Boden, Autoritarismus und Populismus begannen eine neue Kampagne gegen die Emanzipation. Zum anderen schien der weibliche Aufstieg in der Erwerbswelt in vielen westlichen Ländern erlahmt zu sein oder sich gar umzukehren. Und auch in der Frauenbewegung selbst gab es Brüche und Streit. Emanzipierte Frauen plädierten plötzlich für die entschiedene Mutterschaft. Bis heute ist tatsächlich die Frage, wie viele Geschlechter es gibt, ein nicht selten hässlich ausgetragener Kulturkampf. 

Identitätsideologie trifft auf moralische Panik

Tatsächlich ist das Gender-Thema durch seine Erweiterung in den LGBT+-Bereich in eine komplizierte Schleife aus Identitätsideologie und moralischer Panik geraten – was den Widerstand gegen die Emanzipation in den kommenden Jahren noch verstärken könnte. Der Megatrend „Gender Shift“ geht damit zumindest in Teilen in eine Rekursionsschleife. Das zeigt, wie Megatrends „steckenbleiben“ können, indem sie sich sozusagen im Kreis drehen.

Zurück zum „Gender Shift“. Der umfasst alle soziologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, die dazu führen, dass sich Männer ebenfalls in bislang eher weiblich konnotierten Bereichen finden. Während Female Shift zunächst den Wandel einer männerdominierten Gesellschaft beschrieb, der sich dadurch kennzeichnete, dass traditionelle Geschlechterrollen in der Alltags- und Berufswelt aufgelöst werden und auch Frauen abseits des Familienlebens berufliche Karrieren anstreben, inkludiert die Bezeichnung Gender Shift nun auch alle soziologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, die dazu führen, dass sich Männer ebenfalls in bislang eher weiblich konnotierten Geschlechterrollen wiederfinden. 

Wie viel soziale Relevanz hat das Geschlecht?

Während diese Entwicklung zu beobachten ist, ist gleichzeitig unstrittig: Beim Thema Geschlechterrollen spitzen sich die Meinungen und Haltungen zu. Die einen setzen Geschlecht mit Identität gleich. Für andere ist die unmittelbare soziale Relevanz längst überwunden. 

In vielen Lebensbereichen legen Menschen altbekannte Geschlechterrollen zunehmend ab. Traditionelle Familienstrukturen ändern sich, und damit verschiebt sich auch die soziale Rolle von Männern und Frauen. Mütter kehren heute schneller und in größerem Stundenumfang zurück in die Erwerbsarbeit, während Väter häufiger in Elternzeit gehen oder auf Teilzeit reduzieren. Daraus ergeben sich ganz neue Möglichkeiten der Lebensgestaltung – für Männer genauso wie für Frauen. 

Schauen wir uns zum Beispiel die Zusammensetzung der Bundesregierung an und vergleichen den Frauenanteil mit dem beispielsweise des letzten Kabinetts von Helmut Kohl. Dann wird klar: Feminismus ist inzwischen Mainstream und ebnet dem „Gender Shift“ weiter den Weg. Das führt gegenwärtig dazu, dass mehr Frauen in Führungspositionen drängen, die Verhaltensmuster „toxischer Männlichkeit“ (Stichwort: Wladimir Putin) weiter in die Kritik genommen werden und an Bedeutung und Macht verlieren. Insgesamt schärft sich dadurch, begleitet von zivilgesellschaftlichen Bewegungen und Protestkulturen, das Bewusstsein für den Wert von Diversität in Wirtschaft und Politik.

Geschlechtsrelevante blinde Flecken und geschlechtsspezifische Vorurteile werden unter dem Druck der Gesellschaft immer weiter aufgedeckt. Vielleicht kann in Zukunft auch der Einsatz von Technologien und Big Data dazu beitragen, Vorurteile zu revidieren. Künstliche Intelligenz hat aber auch hier ihre Tücken: Eine aktuelle Studie hat gezeigt, dass Software nur so vorurteilsfrei ist wie ihre Programmierer. Oder im Umkehrschluss: Mitunter ist ein Programm in seinem Urteil über Menschen weitaus rigoroser, weil ihm die menschliche Fähigkeit zur Empathie fehlt.

Die Werbung hat den Wandel schon erkannt

Das Zukunftsinstitut vertritt in jedem Fall die These: Je nach Bereich und Branche wird eine erhöhte Gender-Sensibilität dauerhaft oder mindestens zur Gestaltung eines Übergangs hin zu geschlechtergerechten und -übergreifenden Ansätzen notwendig werden. Wie so oft haben zumindest Werbefachleute das als erste für sich erkannt: Das Denken und Handeln der jüngeren Generationen verändert die gesellschaftliche Wahrnehmung von Geschlecht. Angebote und Kommunikation sind gezwungen, sich anzupassen, wenn Menschen sich nicht mehr automatisch über ihr Geschlecht identifizieren. Marketing, das auf vermeintlich typische Frauen- oder Männerinteressen setzt – wenn Sie Zeit und Lust haben, schauen Sie sich mal die Werbespots der 1970er Jahre auf YouTube an –  funktioniert dann nicht mehr, jede Form von genderspezifischen Produkten und Ansprachen wird zur möglichen Falle.

Spannend ist, wie Kirche sich als gesellschaftlicher Player angesichts des Gender Shifts positioniert. Der Synodale Weg der katholischen Kirche in Deutschland hat zumindest gezeigt, dass Laien wie Bischöfe dem Thema auf der Spur sind. 

Markus Hauck

Leiter der Pressestelle im Bistum Würzburg, Mitglied der basis-Redaktion.

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Beitragsfoto: © Chanelle Malambo/peopleimages.com · stock.adobe.com

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