Nicht Geld allein, auch „Sinn“ ist gefragt
Wie der Megatrend „New Work“ das Leben verändert
von Markus Hauck
Früher hieß es: Man lebt, um zu arbeiten. Heute gilt: Man arbeitet, um zu leben. Digitalisierung und Postwachstumsbewegung haben dafür gesorgt, dass klassisches Karrieredenken für viele Menschen ausgedient hat. Statt der Frage „Wie komme ich möglichst schnell an Verantwortung und Kohle?“ geht es heute um Sinn im Tun. Zudem verschwimmen die Grenzen zwischen Leben und Arbeiten, und das auf eine produktive Art. „Als Arbeit gilt künftig die Summe aller Beschäftigungen zu unterschiedlichen Lebensphasen“, schreibt das Zukunftsinstitut auf seiner Website.
Woher kommt diese Entwicklung? Sie hängt sicher damit zusammen, dass die vermeintlich rationale Leistungsgesellschaft aus dem Zeitalter der Industrie sich als nicht zukunftsfähig erwiesen hat. Das Hamsterrad aus Überstunden, Konkurrenzkampf und festen Präsenzzeiten hat am Ende die Leute frustriert und ausgelaugt. Es scheint so, als sei die Coronapandemie genau rechtzeitig aufgetreten. Sie hat bis dahin utopisch erscheinende Modelle von „New Work“, also neuer Ansätze, das Arbeiten zu organisieren, plötzlich in der Breite möglich gemacht. Oft allerdings zunächst aus der Not heraus, und weniger, weil die Entscheider plötzlich die Idee dahinter als sinnvoll erkannten.
Die Krise hat viele digitale Ansätze in Rekordzeit zum Standard gemacht, die bis dahin, wenn überhaupt, nur von hochspezialisierten Experten genutzt wurden. Stichwort: Videokonferenz. Insgesamt ist es dank Nutzung von Cloud-Speichermedien und Anrufweiterleitung via App heute, zumindest für alle Bürotätigkeiten, deutlich einfacher geworden, Zeit und Ort für die Arbeit individueller zu wählen. Der Vorteil liegt dabei nicht allein beim Arbeitnehmer: Ganze Unternehmenskulturen sind dadurch anpassungsfähiger und agiler geworden. Und die Angestellten sehen sich durch diese Freiheit oft auch selbst verstärkt als Problemlöser für die Aufgaben, mit denen sich die Gesellschaft in Zukunft konfrontiert sieht.
Weg von der Idee des ständigen Wachstums
Nicht nur die Arbeitsorganisation ist derzeit im Wandel. Auch die vom Kapitalismus massiv beeinflussten Ideen von Erfolg und Karriere werden zunehmend nebensächlich. Waren früher messbare Werte wie Einkommen und Statussymbole entscheidend, fragen heute Berufsanfänger vermehrt nach sogenannten weichen Erfolgsfaktoren: Ergibt mein Tun einen Sinn? Was kann ich damit bewirken und gestalten? Bleibt neben dem Job auch noch Zeit für Freizeit und Privatleben?
Das Zukunftsinstitut zieht gern einen Blick in die Vergangenheit heran, um zu verdeutlichen, wie viel Veränderung der Megatrend New Work mit sich bringt. In den landwirtschaftlich geprägten Gesellschaften Westeuropas war die Arbeit, die Männer und Frauen leisteten, gleichwertig. Die Gemeinschaft auf dem Bauernhof lebte davon, dass beide Geschlechter ihren jeweiligen Beitrag leisteten. Mit der Dampfmaschine und der mit ihr einhergehenden Industrialisierung verlagerten sich die Arbeitsplätze weg vom eigenen Hof und Haus. Das hatte zur Folge, dass die Hofgemeinschaft zerbrach, in der die Generationen zusammenlebten. An ihre Stelle trat die Kleinfamilie, und Männer wie Frauen begannen, einer Erwerbstätigkeit außerhalb des Hauses nachzugehen. Den Frauen fiel bei dieser Veränderung aber noch die Hausarbeit zu – als Belastung zusätzlich zur Erwerbsarbeit. Und noch eine Entwicklung hängt eng mit der Industrialisierung zusammen: In der Folge blickten politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen ausschließlich auf die Art von Arbeit, die mit einem Einkommen verbunden war. Also ist ein solches Verständnis von Arbeit noch recht jung – und wandelt sich derzeit wieder massiv.
Heute betrachten die Menschen Arbeit und Freizeit nicht mehr als trennscharf unterteilt. Es ist, um es mit einem Liedtext der Band „Kante“ zu sagen, „mehr als die Summe der einzelnen Teile“. Dabei ist es unerheblich, ob diese bezahlt sind oder ehrenamtlich geschehen, ob sie aus Interesse, Pflicht oder Freude getan werden. Das hängt auch mit einem neuen Blick auf den Stellenwert und Zweck des Wirtschaftens zusammen: der Generation Y und der Generation Z, als den jungen Generationen, ist es, nicht zuletzt auch wegen der immer deutlicher spürbaren Auswirkungen des Klimawandels klar: Das bislang Lebenssinn versprechende vermeintliche Axiom vom ewigen Wirtschaftswachstum trügt. Unser aller Lebensgrundlage ist bedroht, wenn auf der Suche nach immer mehr die Erde und ihre Ressourcen geplündert und zerstört werden. Im Zug dieser Neubewertung von Wachstum sind unter anderem Diskussionen zu einem bedingungslosen Grundeinkommen und zur besseren Bezahlung von Pflegetätigkeiten jenseits von Geschlechterrollen in einer bisher unbekannten Breite entstanden. Sie sind erste Knospen einer gesellschaftlichen Entwicklung, bei der die Begriffe Arbeit und Erwerb voneinander entkoppelt werden.
Mit Sinn zum langfristigen Erfolg
Welche aktuellen Probleme und welche Zukunftsaufgaben können unsere Produkte oder Dienstleistungen lösen? Jedes Unternehmen, das zukunftsfähig sein möchte, muss sich diese Fragen stellen. Nicht aus Eitelkeit. Nur wer die Währung „Sinn“ im Portfolio hat, kann in Zukunft auch ein Arbeitsfeld bieten, das das künftig immer knapper werdende Gut Arbeitnehmer überhaupt anlockt. Studien zeigen zudem schon heute: Hat ein Arbeitnehmer den Eindruck, seine Arbeit ist sinnstiftend, so sind seine krankheitsbedingten Fehlzeiten deutlich niedriger als bei denen, die ihre Tätigkeit allein des Geldes wegen ausüben
Die neue Sinn-Ökonomie beinhaltet ein neues Verständnis von Fortschritt. Entscheidend ist es nicht mehr, das beste und das neueste Produkt zu bieten. Gefragt sind also nicht mehr allein qualitativ hochwertige Materialien oder super tolle Nutzererfahrung. Entscheidend ist eine Kombination aus ökologischen, ökonomischen und ethischen Werten.
Unternehmen übernehmen soziale Verantwortung. Unter welchen Bedingungen beispielsweise die Rohstoffe für ein Produkt in einem der Länder des Südens hergestellt werden, war früher ein Luxus, für den sich nur wenige Firmen interessierten. Heute ist es wirtschaftlich sogar von Vorteil, sich darum zu kümmern. Zum einen positioniert sich das Unternehmen damit als verantwortlich und ist somit attraktiv für Fachkräfte auf einem umkämpften Markt. Zugleich steigert ein Ruf als sozial verantwortliche Firma auch die Bindung der Kunden und somit mittelfristig das Unternehmen. Ganz nebenbei spart nachhaltiges Wirtschaften oft Energie und Ressourcen, also letztlich auch Kosten.
Work-Life-Blending statt -Balance
Berufstätige sehnen sich heutzutage nach Modellen, bei denen Beruf und Freizeit harmonisch in Einklang zu bringen sind. Wo es früher darum ging, die Zeit zwischen Job und Freizeit gut aufzuteilen, heißt das neue Lebensmotto „Work-Life-Blending“: Ein fließender Übergang zwischen Arbeits- und Privatleben ermöglicht den Arbeitnehmern, flexibel auf private Umstände zu reagieren, selbstbestimmt zu arbeiten und damit produktiver zu sein.
Corona und staatliche Schutzvorgaben erzwangen, dass Vorgesetzte den Angestellten ermöglichen mussten, vom Homeoffice aus zu arbeiten. Chefs befürchteten, dass am heimischen Schreibtisch die Produktivität in den Keller fällt. Das war aber nicht der Fall. Ob vom Wohnmobil aus, im Café oder in der Skihütte: Remote Work, also Arbeiten an einem beliebigen Ort der Wahl, ist ein wichtiger Bestandteil von New Work – und funktioniert. Gerade in der „Gig Economy“, dem wachsenden Arbeitsmarkt aus Selbstständigen, Freiberuflern und Menschen, die in Gelegenheitsjobs oder nur projektbezogen arbeiten, wird Arbeiten auch immer häufiger mit Reisen verbunden. „Workation“, ein Kunstwort aus Work und Vacation, Arbeit und Urlaub, steht dafür, dass inzwischen auch Angestellte die Arbeit mit auf eine Reise nehmen und einen Aufenthalt an einem besonderen Ort mit ihrer beruflichen Tätigkeit koppeln. Das Vertrauen darauf, dass Freiheiten genutzt, aber nicht ausgenutzt werden, fördert die Motivation der Mitarbeitenden und kommt Unternehmen damit wieder zugute. In Zukunft heißt es also für Führungskräfte: Loslassen, wenn man Mitarbeitende halten möchte.
Das Büro ist tot, lang lebe das Büro!
Braucht es eigentlich überhaupt noch ein Büro, wenn ohnehin alle zuhause oder anderswo arbeiten? Nicht wenige Arbeitgeber fragten sich das, als sie 2020 vor den leeren Büroräumen standen. Auch die Angestellten begannen im Lauf des Lockdowns, den täglichen Tapetenwechsel und den realen Austausch mit den anderen zu vermissen. Spontane Kontakte, den inspirierenden Zufall, den Austausch auf dem Flur und das gemeinsame Kreieren vor Ort sind eben auch durch eine gut funktionierende Kultur der Telearbeit nicht ersetzbar. Auch in Zeiten von New Work wird das Büro also erhalten bleiben. Was sich aber ändert, sind die Anforderungen an die Räume. Sie entwickeln sich vom reinen Ort der Arbeit zur „Kulturmeile“ des Unternehmens: Im Idealfall werden hier die Werte des Unternehmens sichtbar, entsteht das Wir-Gefühl der Belegschaft.
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