Oasen im Alltag bei Gott
von Werner M. Kuller
Jakob erfindet ein Gebet
Jakob sitzt auf der Schaukel und murmelt vor sich hin: „Ich bin da, du bist da, wir beide sind da“. Er springt herunter, hüpft auf einem Bein und murmelt: „Ich bin da, du bist da, wir beide sind da. Hm…“ . Er setzt sich an die Hauswand, wird ganz still und murmelt: „Ich bin da, du bist da, wir beide sind da….. Es stimmt immer“.
Der Vater kommt heim, sieht Jakob auf der Schaukel, grüßt ihn. Jakob schaut nur gerade auf und murmelt: „Lieber Gott, ich bin da, du bist da, wir beide sind da“. „Hast Du einen neuen Auszählreim gelernt?“ fragt der Vater.
„Nein, das ist etwas ganz anderes. Das ist ein Gebet, das ich gerade erfunden habe. Weißt Du, die Gebete im Kindergarten, die waren mir zu langweilig, immer dasselbe. Manche passen zum Essen, andere zum Aufwachen. Ich habe ein Gebet erfunden, das immer passt, soll ich es Dir sagen?“ „Gerne“
Jakob feierlich: „Lieber Gott, ich bin da, du bist da, wir beide sind da“. „Ja, wie geht’s weiter?“ fragt der Vater. „Gar nicht. Das war‘s schon, genügt doch, oder?“ „Naja“, meint der Vater, „es klingt ein bisschen ungewohnt für mich.“
Jakob: „Lieber Gott! Wenn ich das sage, denkt der liebe Gott: Aha, der Jakob ruft mich. Da muss ich ihm zuhören. Klar, oder? Du bist da – Der liebe Gott, sagt die Mutti, ist nämlich immer da, überall.“ Vater: „Da hat die Mutti recht, natürlich.“
„Na, und wenn ich da bin und der liebe Gott da ist, dann sind wir beide zusammen da, das ist doch schön, oder? Und es stimmt überall. Beim Spielen, beim Essen, beim Schaukeln, beim Bilderbuchanschauen, überall, ich hab‘s ausprobiert.“
„So betrachtet, hast du Recht, Jakob“. „Wenn es Dir gefällt, mein Gebet, kannst Du es haben. Ich schenk es Dir.“ Der Vater etwas verlegen: „Oh, das ist – hm, danke“.
„Wir können es beide sagen, dieses Gebet. Jeder, wo er gerade ist. Meinst Du, es passt auch fürs Büro oder den Autobus?“ Vater: “Hm, warum eigentlich nicht!“
„Du, Vati, ich sag Dir was: Probier mein Gebet morgen aus, überall, und sag mir am Abend, ob es gestimmt hat“.
Vater: “Gut , ich werde einen Test machen!“ „Weißt Du noch, wie es geht?“
„Lieber Gott, ich bin da, Du bist da, wir beide sind da“ .
Wollen auch Sie einen Test machen, ob es in Ihren Alltag passt? Ich denke, dass Jakob großzügig ist und auch Ihnen sein Gebet zur Verfügung stellt.
Kleine Aufblicke zu Gott, seiner Gegenwart bewusst werden und spüren, er ist da.
„Du bist da“
Die Schönstatt-Bewegung arbeitet mit Jahresparolen und zentriert so die Jahresarbeit.
In Österreich heißt sie dieses Jahr: „Spüren Sie den lieben Gott!“ (Pater Josef Kentenich).
Für unser Glaubensleben wäre das eine wunderbare Sache, ihn im Alltag immer wieder zu spüren, unsere Sinne zu schulen, ihn und sein Wirken wahrzunehmen.
Jakob kann uns dazu vielleicht helfen.
Schauen wir noch einmal etwas genauer hin:
Eine schöne Geschichte, die mehr Tiefe hat, als wir es auf den ersten Blick meinen.
„Ich bin da“
Da entsteht schon das erste Fragezeichen. Wirklich da sein, präsent sein, das ist gar nicht so einfach.
Wir sitzen zusammen in einer Gruppe und führen ein Gespräch. Ein Teilnehmer hat sein Smartphone vor sich und checkt neue Nachrichten. Darauf angesprochen sagt er: „Ich bekomme eh alles mit.“ Wirklich präsent sein ist etwas anderes.
Es gibt so viele Möglichkeiten der Ablenkung mit den Mitteln, die uns heute zur Verfügung stehen. So sind immer mehr Menschen zu beobachten, die es kaum aushalten, wenn einmal keine oder nur wenige äußere Reize da sind. Leere, Langeweile, kaum auszuhalten. Und doch ist es gut, dem Nichtstun Raum zu geben, erneut eine Kultur der Muße zu entwickeln und das mitten in unserem oft hektischen Alltag, Oasen, Oasenzeiten, in denen ich mich wieder spüren kann und mit vollerer Überzeugung sagen kann: „Ich bin da“
Zwei Beispiele:
In einer Familiengemeinschaft Schönstatts haben sie sich zur Förderung des geistlichen Lebens vorgenommen, täglich eine „Verweilübung“ zu halten. Das meint, nicht nur Gebete zu verrichten (andächtig oder schnell, schnell), sondern einmal am Tag bei Gott zur Ruhe zu kommen. Das kann im Hausheiligtum beim Bild der Gottesmutter sein oder sonst an einem Ort oder in einer Situation, wo das gelingt, wirklich zur Ruhe zu kommen, zu verweilen. Beobachten und experimentieren lässt jeden seinen Weg finden zu „meiner Verweilübung“
Familien mit Kindern und oft auch kleineren Kindern, wie soll das gehen?
Eine Frau erzählt von Ihrer Familie, vier lebhafte Jungs, da ist Trubel im Haus. Zur Ruhe kommen? Keine Chance, oder?
Sie erzählt, dass sie beobachtet hat, was denn die ruhigste Zeit im Tagesverlauf ist, und hat festgestellt, das ist direkt nach dem Mittagessen. Alle sind satt geworden und sind ihre Geschichten vom Vormittag in Schule und Kindergarten losgeworden, haben alles erzählen können und brauchen jetzt die Mutter nicht. Nun könnte sie natürlich die Küche aufräumen, spülen und was sonst noch zu tun ist.
Statt dessen gibt es erst 10 bis 15 Minuten Auszeit im Wohnzimmer vor dem Hausheiligtum. Sie braucht dort nichts tun, einfach nur da sein und erzählt in dem Kreis: Das tut soooo gut, diese Oase im Alltag bei Gott.
Am Ende einer Familienwoche in Kroatien. Ich gebe einen kurzen Impuls und rege die Paare an, diese Woche auszuwerten und miteinander zu besprechen, was sie für ihren Alltag mitnehmen wollen. Da meldet sich die Begleitfamilie und macht noch ein paar technische Ansagen. Ich mache eine Pause und sage dann: „Haben Sie gemerkt, was gerade passiert ist? Ich habe Ihnen eine Motivation zur Auswertung gegeben und nun die Ansagen, die unsere Aufmerksamkeit woanders hin gelenkt haben, also noch einmal. Und ich wiederhole den Motivationsimpuls in Kurzfassung.
Bei der gemeinsamen Ernterunde, bei der jedes Ehepaar noch sagen kann, was in der Woche für sie wichtig war, sagt ein Mann ganz bewegt, die vorhin beschriebene kleine Szene war das Wichtigste. „Ich mache es nämlich immer so: Gerade noch schnell die E-Mails checken, gerade noch schnell dies oder jenes tun, und dann soll ein Gespräch stattfinden, zum Beispiel das wichtige wöchentliche Ehegespräch, und ich habe Mühe hineinzukommen. Das nehme ich mit“.
Mit der eigenen Seele gut umgehen – heute reden viele von Achtsamkeit –, der Seele den Raum zum Atmen geben, wirklich da zu sein und dann auch immer wieder Zeiten nachzukommen, nachzukosten, in die Seele so aufzunehmen, dass es unsere innere Atmosphäre bestimmt, dann kann ich immer besser sagen „Ich bin da“.
Und dann: „Wir beide sind da“. Wir beide, ich und Gott miteinander auf den Wegen meines Lebens. So kann ich wahrnehmen, er führt mich in seiner Liebe, meine Sinne werden wach für diese Führung Gottes. Seine Lieblingsweisen zu sprechen, sind durch Menschen und Ereignisse, die mich anregen, herausfordern, mir Freude machen oder in anderer Weise mich berühren. Natürlich spricht er auch direkt zu mir, in meiner Seele durch Anregungen, Sehnsüchte, meinem Gewissen, das auf Gutes und Schlechtes reagiert. Oft ist diese Wahrnehmung etwas verzögert, das heißt im Nachhinein erkenne ich: Er war dabei, er hat geführt.
So ist es ein guter Brauch für Menschen, die ein geistliches Leben führen wollen, sich monatlich einen halben Tag Zeit für eine „Geisteserneuerung“ zu nehmen, um den Spuren von Gottes Wirken nachzutasten und sich auf die nächste Etappe des Lebensweges im nächsten Monat einzustellen.
Hilfreich ist auch eine jährliche Exerzitienzeit oder Tagungszeit mit genügend Raum fürs „Persönliche“. Erneuert, frisch und klar gehen wir dann wieder in unseren Alltag, in das Stück „Welt“, das Gott unserer Sorge anvertraut hat.
„Ich bin da, Du bist da, wir beide sind da“ ergibt eine gute Grundmelodie für meinen Alltag mit Gott.
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