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„Schlecht“ wirkt stärker als „gut“ 

„Schlecht“ wirkt stärker als „gut“ 

Wie unser Gehirn auf Schock-Risiken reagiert

von Klaus Glas

Wenn – wie bei der Corona-Pandemie – weltweit viele Menschen gleichzeitig sterben, reagieren wir mit Angst und Panik. Erfahrene Politiker sind davon nicht ausgenommen. So warnte NRW- Ministerpräsident Armin Laschet Mitte März: „Es geht um Leben und Tod – so einfach ist das. Und so schlimm.“ Einen Monat später war er dann aber bei den ersten, die mit Forderungen nach Lockerung der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie nach vorne geprescht sind. 

Als bei der schweren Grippewelle 2017/18 mehr als 25.000 Menschen in Deutschland ihr Leben gelassen haben, hat niemand im Staat sich gerührt. Warum? Weil die Todesfälle auf mehrere Monate verteilt waren. Die Verluste waren weder dem Volk noch den Volksvertreterinnen und Vertretern groß aufgefallen. Die Amygdala, die Angstzentrale des Gehirns, wurde nicht aktiviert. 

Die Macht der Krise

Eine weltweite Krise hat stets massive Auswirkungen auf den Einzelnen, die Familien und die Gesellschaft. Ein schreckliches Erlebnis brennt sich dauerhaft ins Gedächtnis ein, selbst wenn man nicht unmittelbar betroffen ist. Sie können diesen neuronalen Vorgang leicht aktivieren, wenn Sie sich fragen: Wo war ich am 11. September 2001? 

Schlechte Ereignisse fürchtet der Mensch aus evolutionären Gründen. Jäger und Sammler lebten in mittelgroßen Verbänden. Wenn von den 150 Personen, die einem Clan angehörten, zehn von einer feindlichen Horde gemetzelt oder von einer Seuche dahin gerafft wurden, war das Überleben der Eigengruppe gefährdet. Wer als Steinzeit-Kind ein Trauma überlebt hatte, konnte in seiner Persönlichkeitsentwicklung beeinträchtigt werden; das Stressverarbeitungssystem wurde dauerhaft verändert, weil das schwere Erlebnis in eine sensible Phase der Gehirnentwicklung fiel. Im Gehirn eines Kleinkindes bilden sich pro Sekunde (!) bis zu zwei Millionen neue Synapsen, Verbindungen zwischen den  Nervenzellen. Das neu verdrahtete Gehirn des Kindes reagiert später sehr sensibel auf weitere kritische Lebensereignisse, wie den Tod der Mutter, oder alltägliche Stressoren, etwa Streit in der Familie. Die frühe Schädigung des Stressverarbeitungs-Moduls kann im späteren Leben zu Angststörungen und Depressionen führen. Die Forschung konnte zeigen, dass ein Trauma über Generationen hinweg weitergegeben werden kann, weil sich die traumatisierende Erfahrung im Erbmaterial niederschlägt. 

Bis auf den heutigen Tag rufen Katastrophen angeborene Panikreaktionen hervor. Geschieht das im Kollektiv, steigt in der Gesellschaft die Angst und die Zuversicht sinkt. Genau das geschieht aktuell. Der Hoffnungspegel fiel in wenigen Wochen auf den tiefsten Stand seit Gründung der Bundesrepublik; noch nie waren die Bürgerinnen und Bürger hierzulande so pessimistisch wie in der Corona-Krise. Das ergab eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Wie man eine schwere Krise erfolgreich meistert oder auch nicht, ist abhängig davon, wie man diese wahrnimmt und wie man sie – unbewusst und bewusst – bewertet. Das Gehirn springt in Bedrohungsstationen deutlich schneller an und reagiert auch intensiver als bei freudvollen Ereignissen. „Schlecht wirkt stärker als gut“, lautet das eingefleischte Hirnprinzip, das der US-amerikanische Psychologe Roy Baumeister erforscht hat. Warum das so ist, kann man Christenmenschen so beschreiben: Der Schöpfer hat uns das Gehirn nicht in erster Linie dafür eingepflanzt, damit wir als Einzelne das persönliche Lebensglück finden, sondern damit wir als Familie und Gesellschaft überleben lernen. …

Portrait: Klaus Glas

Klaus Glas

Klinischer Psychologe in eigener Praxis,
www.hoffnungsvoll-leben.de mit psychologisch-pädagogischen Lebenshilfen.

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