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Sind Selbstkontrolle und Solidarität Säulen der Demokratie?

Sind Selbstkontrolle und Solidarität Säulen der Demokratie?

Demokratiekompetenz – psychologisch betrachtet

von Klaus Glas

Es ist ein wundervoller Tag in Washington, jener 20. Januar 1961. Bei strahlendem Sonnenschein ruft der neugewählte Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika den Menschen vor dem Kapitol zu: „Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann –  fragt, was ihr für euer Land tun könnt.“ Applaus und Rufe der Begeisterung branden auf. 

John F. Kennedy hatte mit seiner Antrittsrede die Menschen motiviert, sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Die Bürgerinnen und Bürger fühlten sich angesprochen, weil sie spürten, dass sie in diesem freiheitlichen Land zusammenstehen müssen. Menschen haben nicht nur eine kulturell bedingte Staatsangehörigkeit. Sie haben auch ein angeborenes Bedürfnis dazuzugehören. „Kein Mensch ist eine Insel“, brachte es der englische Dichter John Donne auf den Punkt. Archäologen entdeckten vor einigen Jahren nahe der italienischen Hauptstadt ein Grab aus dem Neolithikum. Der etwa 6000 Jahre alte Fund zeigte zwei Skelette, die eng umschlungen in die Erde gebettet waren, die Gesichtsschädel einander zugewandt. Das junge Paar gehörte wahrscheinlich einem größeren sozialen Netzwerk an. Denn unsere Vorfahren lebten in Gruppen, denen bis zu 150 Personen angehörten. 

Was macht eine Demokratie aus?

In einer modernen Demokratie leben oft Millionen Menschen friedlich miteinander. Wenn man Philosophen oder Politologen befragt, was die Demokratie ausmache, ist man als „Otto Normalbürger“ enttäuscht. Die Experten schauen zumeist auf die dunkle Seite der staatlichen Macht. So vertrat der Philosoph Karl Popper die Auffassung, man dürfe jene Staatsform, die durch Freiheits- und Gleichheitsrechte geprägt sei, nicht als Antwort auf die Frage verstehen, wer herrschen solle. Stattdessen sei die Demokratie eher eine Lösung für das Problem, wie man eine schlechte Regierung ohne Blutvergießen loswerden könne. Für den Politikwissenschaftler John Mueller beruht die Demokratie darauf, den Bürgerinnen und Bürgern die Freiheit zuzugestehen, sich auf jede erdenkliche Art zu beschweren. Eine gewählte Regierung wird sich eher bewegen, wenn enttäuschte Bürgerinnen  und Bürger protestieren, publizieren oder eine Petition einreichen. 

Die Demokratie dient weniger dem Glück des Einzelnen. Stattdessen schützt sie recht erfolgreich die Gesellschaft vor Unbill und Chaos. Vielleicht erfreut sie sich gerade deswegen zunehmender Beliebtheit. Zu Beginn der 1970er Jahre gab es etwas mehr als 30 demokratische Regierungen rund um den Globus. 1989, als die Berliner Mauer fiel, gab es bereits 52 Demokratien. Und im Jahr 2015 konnte man mehr als 100 demokratische Regierungen zählen, sagt der US-amerikanische Psychologe Steven Pinker. Der Intellektuelle beschreibt die Demokratie als eine Regierungsform, der die Gratwanderung gelinge, „gerade genug Gewalt auszuüben, um die Menschen davon abzuhalten, einander zu jagen, ohne selbst Jagd auf sie zu machen“.

Aus psychologischer Sicht könnte man eine Reihe Persönlichkeitsmerkmale und sozial-emotionale Fertigkeiten benennen, die zur Demokratiekompetenz beitragen. Hier werden stellvertretend zwei wichtige Kompetenzen benannt: Selbstkontrolle und Solidarität.  

 

Portrait: Klaus Glas

Klaus Glas

Klinischer Psychologe in eigener Praxis, www.hoffnungsvoll-leben.de mit psychologisch-pädagogischen Lebenshilfen.

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