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Sprache im Wandel

Wenn gesprochen wird, ist noch lange nicht alles klar

von Hubertus Brantzen

Wenn zwei Streit miteinander haben, geben ihnen ihre Freunde den gutgemeinten Rat: „Redet miteinander!“ Schweigen nutzt in der Tat nichts, um einen Konflikt aufzulösen. Aber wenn die beiden dann miteinander reden, merken sie, dass unter Umständen ein falsches Wort die Missverständnisse noch vergrößern kann. 

In einer anderen Situation reden zwei munter miteinander drauf los. Zuerst ist alles eitel Freude. Doch dann kommt plötzlich in das Gespräch ein unguter Unterton, der ein komisches Gefühl auslöst. Da war in der Rede des einen irgendetwas, was den anderen eigenartig berührt, irritiert oder sogar ärgert. 

Miteinander zu reden kann also eine reine Freude sein, hat aber offenbar auch seine Hindernisse und Fallen. Dafür gibt es viele Gründe.

Sprachveränderungen und Wortwandel

Die Urgroßeltern von Darian waren Ende des 19. Jahrhunderts aus Kroatien nach Südafrika ausgewandert. Innerhalb ihrer Familie wurde während der kommenden hundert Jahre die Muttersprache beibehalten. Nun kam Darian nach Deutschland, um zu studieren. Da er katholisch war, wohnte er in einem Haus, das von kroatischen Schwestern betreut wurde. Gleich am ersten Abend stürmte er in die Küche, um mit seinen Landsleuten Kroatisch zu sprechen. Doch da gab es eine Überraschung. Als er redete, lachten die Schwestern immer wieder. Als Darian nach dem Grund für das Lachen fragte, meinten sie: „Wie du redest, haben die Leute vor hundert Jahren in Kroatien gesprochen!“

Sprache entwickelt sich also ständig weiter. Worte, die Jugendliche beispielsweise heute bei uns selbstverständlich verwenden, waren noch einige Jahrzehnte zuvor unbekannt oder sogar verpönt. 

Auch haben sich Worte in ihren Bedeutungsfeldern grundlegend verändert. So wurde etwa aus dem Weib eine Frau. Wenn man heute im Grundgebet der katholischen Kirche, dem Ave Maria, beten würde: „Du bist gebenedeit unter den Weibern“ – dann würde nicht nur Maria 2.0 auf den Plan treten. 

Das alte Wort „Frau“ – mittelhochdeutsch „vrouwe“, althochdeutsch „frouwe“ – war ursprünglich ein Gegenstück zu der männlichen Form „frauja“ (gotisch), was eigentlich „der Erste“ bedeutet, aber im Deutschen verschwunden ist. „frouwe“ war also „die Erste“, „die Herrin“. „Weib“ – alt- und mittelhochdeutsch „wīp“ – meinte eigentlich die „sich hin- und her bewegende, geschäftige (Haus)Frau“. In unserem Wortwandel wurde also – sprachgeschichtlich betrachtet – aus der geschäftigen Frau eine Herrin. …

 

Hubertus Brantzen

Prof. Dr. Pastoraltheologe, Mainz.

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