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Tägliche Herausforderung Freiheit

Entscheidungsfreudig und selbstverantwortlich – die tägliche Herausforderung der Freiheit

von Elmar Busse

„Nun bist du mit dem Kopf durch die Wand. Was willst du in der Nachbarzelle?“ Diesen sarkastischen Aphorismus schrieb der polnische Dichter Stanislav Jerzy Lec in „Sämtliche unfrisierten Gedanken“ noch zu kommunistischen Zeiten. Als ehemaliger DDR-Bürger habe ich den Fall der Mauer und die Wiedervereinigung staunend und dankbar miterlebt. Die Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 habe ich am Deutschen Eck in Koblenz mitgefeiert. Meinungsfreiheit, Reisefreiheit, es war ein tiefes Aufatmen! Dass mein jüngerer Bruder nicht auf die weiterführende Schule in meiner Heimatstadt gehen und das Abitur machen durfte, weil ich nach dem Abitur angefangen hatte, Theologie zu studieren – solche Sippenhaftung und Diskriminierung von Christen hatte endlich ein Ende.
Und doch erlebte ich andere Bedrohungen für die Freiheit. Hatten die „Westbürger“ genügend Zeit und Gelegenheit, seelische Immunabwehr gegen die Werbung zu entwickeln, hatte ich immer wieder zu kämpfen vom „must have“ über „nice to have“ bis hin zu „nice not to need“. Das (fehlende) Geld im Portemonnaie war oftmals eine Entscheidungshilfe. Der mir begegnende Pluralismus in den Meinungen erforderte viel mehr Orientierungsarbeit. In der DDR hatte ich mich damit abgefunden, zu einer diskriminierten Minderheit zu gehören. Aber jetzt im Westen entdeckte ich auch in mir die Angst, nicht zur siegreichen Mehrheit zu gehören. Elisabeth Noelle-Neumann mit ihrem schon 1984 erschienen Taschenbuch „Die Schweigespirale. Die öffentliche Meinung, unsere soziale Haut“ sensibilisierte mich für ganz neue Formen des Zwangs. …

 

Elmar Busse

Gründungsmitglied der Schönstatt-Patres in der DDR, dort bis 1990 Jugendarbeit, dann bis 2015 Familien- und Eheseelsorger in Österreich, Tschechien und Deutschland, jetzt Fachbereichsleiter Spiritualität der Katharina-Kasper-Akademie in Dernbach/Westerwald.

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Foto: © Privat