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Treffpunkte an der frischen Luft

Treffpunkte an der frischen Luft

Viele Jugendliche haben es auch ohne Coronakrise zuhause eng oder ungemütlich. Die offene Jugendarbeit schafft für diese auch in Pandemiezeiten Räume.

von Hans-Martin Samietz

Während einer dieser vielen Videokonferenzen in den vergangenen Wochen mit Gruppenleitern aus der Schönstattjugend antwortete ein junger Gruppenleiter auf die Frage, was ihn im Moment beschäftige: „Ich habe zu kämpfen, wieder in meinen normalen Schlaf-Wach-Rhythmus zurückzukehren.“ Da hat wohl einer die Ausgangsbeschränkungen als persönlichen Erfahrungsraum genutzt und die Faszination der Nachtstunden schätzen gelernt. Gönnen wir es ihm!

Glücklich, wer als Jugendlicher in den vergangenen Wochen ein eigenes Zimmer zur Verfügung hatte! Glücklich, wessen Wohnung trotz allen Rückzugs ins Private noch so viele Möglichkeiten übrigließ, in ein und demselben Haushalt verschiedene Lebensrhythmen nebeneinander laufen lassen zu können!

Das „tägliche Brot“ vieler Pädagoginnen und Pädagogen war es bis vor dem epidemischen Notstand, Türen von Treffpunkten, Billard- und Tischtennisräumen offen zu halten, damit Jugendliche, die lieber von zu Hause weg sein wollten – sei es wegen der Enge zu Hause, sei es wegen schlechter Behandlung oder unwürdigen Lebensumständen dort –, eine Möglichkeit haben, irgendwo zu bleiben. Sie bekamen in den jüngsten Wochen zunehmend ein Bild davon, welche kleinen und großen Katastrophen sich in den Wohnungen ihrer ehemaligen Besucher und Besucherinnen zugetragen haben.

Folgende Gedanken und Perspektiven, die ich für Sie aufgezeichnet habe, entwickelte die Leiterin einer Einrichtung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit nach vier Wochen Ausgangsbeschränkung. 

Eine Bestandsaufnahme von einer Sozialarbeiterin 

„Ein Kind, das für die Hausaufgabenbetreuung in unserem Haus angemeldet ist, wurde vorige Woche gemeinsam mit der Schwester in Obhut genommen. Das Kind ist auch Kollegen in anderen Einrichtungen bekannt. Ich habe mir zusammen mit anderen Fachkräften auf Grund dieses Falles folgende Gedanken gemacht:

Viele Kinder und Jugendliche sind aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nun 24 Stunden zu Hause bei ihren Familien. Notbetreuungen werden, soweit wir es wissen, nur sehr vereinzelt genutzt.

Wie wir aus den oft jahrelangen Kontakten und vielen persönlichen Gesprächen wissen, leben aufgrund der bekannten schwierigen Situation am Wohnungsmarkt fast alle unsere Familien in beengten oder extrem beengten Verhältnissen. Wir kennen persönlich Familien mit vielen Kindern, die mit bis zu 14 Personen in zwei Räumen leben. Es ist schon schwierig, wenn diese Personen ihren täglichen Beschäftigungen nachgehen. In der Situation ist dieser Zustand menschenunwürdig und nicht tragbar.

Unsere Familien sind in der Regel vor kurzem aus ihrer Heimat geflüchtet. Gerade die Erwachsenen in diesen Haushalten haben mangelhafte Sprachkenntnisse und arbeiten, wenn überhaupt, im Niedriglohnsektor, ohne qualifizierte Ausbildung. Viele Eltern unserer Jugendlichen haben nur prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Ihre Arbeitsplätze fallen womöglich als erste in der momentanen schwierigen wirtschaftlichen Situation weg. Ich kann mir keine Familie der Familien unserer Jugendlichen vorstellen, wo Eltern gerade die Möglichkeit haben, von zuhause im Homeoffice tätig zu sein. Entweder sind sie zum Beispiel im Supermarkt oder als Reinigungskraft mit Mehrarbeit konfrontiert oder sowieso arbeitslos zuhause. Auch Deutschkurse und qualifizierende Maßnahmen entfallen gerade. …

Hans-Martin Samietz

Mitglied der basis-Redaktion.
Schönstatt-Pater.

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