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Trotz vermeintlicher Machtlosigkeit aktiv werden

Trotz vermeintlicher Machtlosigkeit aktiv werden

von Felix Geyer

Wenn ich auf aktuelle Aufbrüche und die konkreten Begegnungen von Menschen im Raum der Schönstatt-Bewegung blicke, dann habe ich immer wieder den Eindruck, dass hier eine Art positiver Welt- und Zukunftsentwurf gelebt oder zumindest gesucht wird. Das Erstaunliche dabei ist: Vieles von dem, was im Raum und Rahmen der Bewegung entsteht, wird nicht durch Autoritäten gesetzt und gemacht, sondern baut oftmals auf ungeplanten, teils zufälligen Begegnungen auf. Da wird bei einem Kaffeegespräch am Rande eines Treffens eine Idee geteilt und daraus entwickelt sich dann eine neue Initiative. Bewegung ist geprägt vom Charakter kreativen und aktiven Machens, und das trotz vermeintlicher Machtlosigkeit. Zuständigkeiten amtlicher oder organisierter Art sind nicht immer oder sogar selten die Initialmomente. Es ist ein schöpferisches Handeln, das ganz auf spirituellen Quellen aufbaut und eine Macht ohne Machtanspruch darstellt. Hier soll den spirituellen Quellen dieser Form des „Trotzdem“ als Macht in Machtlosigkeit nachgegangen werden. Nach einem Blitzlicht auf den größeren gesellschaftlichen Kontext von Machtlosigkeit werfe ich einen Blick auf das spirituelle Kernelement der Schönstatt-Bewegung, das Liebesbündnis mit Maria. Im Nachzeichnen der Grundvollzüge dieses Liebesbündnisses sollen ansatzweise die Quellen dieses selbstwirksamen und ermächtigenden Handelns erschlossen werden.

Macht im Angesicht von Machtlosigkeit

Angesichts der vielen Krisen, die unsere Welt gegenwärtig erschüttern – sei es der Klimawandel, soziale Ungleichheiten, politische Spannungen oder globale Gesundheitskrisen – kann es schwerfallen, ins Handeln zu kommen. Warum überhaupt aufstehen? Was lohnt das? Was bringt das? Sind wir nicht völlig machtlos? Die Vielzahl an Problemen kann überwältigend wirken und Gefühle der Ohnmacht, Angst und Hoffnungslosigkeit hervorrufen. Mir scheint, dass bei der zunehmenden Komplexität sich Lähmungserscheinungen für das eigene Handeln ausmachen lassen, die ganz unterschiedliche Ursprünge haben. 

Die ständige Konfrontation mit negativen Nachrichten kann zu einer Art „Krisenmüdigkeit“ führen, bei der wir uns emotional distanzieren, um uns selbst zu schützen. Neben dieser Perspektive von Sinnverlust kann auch Lähmung durch Angst und Furcht davon abhalten, überhaupt erst aktiv zu werden. Ungewissheit über den Ausgang unserer Handlungen und potenzielle negative Konsequenzen können ebenso lähmend wirken. Aber es muss nicht erst eine ausgewachsene Furcht sein, die Handeln lähmt. Auch Unsicherheit und das Gefühl, nicht genau zu wissen, was situativ richtig ist, können schon die Aktivität und Handeln im Keim ersticken. Es ließe sich vermutlich noch eine ganze Reihe anderer Ursprünge ausmachen, warum man nicht ins Handeln gelangt und die das Gefühl von Machtlosigkeit hervorrufen. Macht wird oft mit Machthabern und den Autoritäten in Welt und Gesellschaft assoziiert. An dieser Stelle nur nebenbei: Vielleicht ist die Diskrepanz von gefühlter Machtlosigkeit und der Erwartung an gesellschaftliche Autoritäten (Machthaber) Ursprung gesellschaftlicher Spannungen, Populismen und Polarisierungen, die sich in einer vermeintlichen „Die da oben und wir hier unten“-Rhetorik zuspitzen ließe. 

Als Gegenbild zur Machtlosigkeit oder besser zur vermeintlichen Machtlosigkeit lohnt sich ein Blick auf das, was mit Macht gemeint sein könnte. Es ließen sich unterschiedliche Denker (M. Weber, H. Arendt, M. Foucault u.a.) anführen, aber ich will einem recht umfassenden Verständnis von Macht, in Anlehnung an Denker der Frankfurter Schule (Adorno, Habermas und vor allem Rainer Forst) folgen, das verschiedene Aspekte der unterschiedlichen Machttheorien berücksichtigt und auch individuell und psychologisch wirksame Aspekte zu berücksichtigen imstande ist. Demnach ist Macht „das Vermögen, die Handlungsgründe von Menschen zu beeinflussen.“ Beeinflusst werden nicht die Handlungen der Menschen direkt, sondern deren Gründe. Das kann sowohl durch physische Gewalt, durch geteilte oder erlassene Sitten und Gesetze oder auch durch einfache Worte und Taten im Zwischenmenschlichen geschehen. Gründe für das Handeln werden immer beeinflusst. Es müsste mehr über den Charakter dessen ausgefaltet werden und auch Vor- und Nachteile einer solchen weiten Machtdefinition diskutiert werden. 

Entscheidend sind mir an dieser Stelle jedoch zwei Erkenntnisse: In der Regel ist der Mensch in der Lage, zu jeder Zeit, in jedem Moment zumindest einen Zugriff auf die eigenen Handlungsgründe zu erlangen. Der zweite bedeutsame Aspekt an diesem Blick auf Macht ist der, dass damit auch religiöse Gründe genuin als Quelle, Grund und Ressource für Handeln plausibel werden können.

Handeln aus dem Glauben – Grundvollzüge in Schönstatt

Was sind nun im Raum der Bewegung Elemente und Rahmenbedingungen, die aktives Handeln ermöglichen und unterstützen? Da gibt es viele konkrete Strukturen und religiöse Formen (Bündnisfeiern, Wochenenden, Gebetstreffen, etc.), die gemeinschaftliche Bestärkung erfahren und erleben lassen. Ich will statt der Analyse von Sozialstrukturen und Gelingensbedingungen praktischer Art jedoch in der gebotenen Kürze vielmehr auf die Glaubensressourcen und damit Quellen gläubiger Überzeugung fokussieren, die sozusagen Handlungsgründe aus dem Glauben plausibilisieren und mit denen seit 2025 in der Schönstatt-Bewegung gearbeitet wird. Sie schlagen sich in den fünf Lebensvorgängen des Liebesbündnisses nieder. Mit Liebesbündnis ist die bewusste Entscheidung gemeint, immer mehr Christ zu werden mit Maria und sich wie sie und auch beispielhaft von ihr erziehen zu lassen. Die fünf Grundvollzüge setzen jeweils individuell an und machen damit persönliche Handlungsgründe plausibel. Gleichzeitig vermitteln sie geteilte und gemeinschaftlich wirksame Handlungsgründe. Sie sind als „Ich-glaube“ Sätze formuliert, da in persönlichem Glauben eine gewisse Bandbreite an Intensität gegeben ist, die eine vorsichtige Intuition (im Sinne von: „Ich könnte mir vorstellen, daran zu glauben“) genauso umfassen kann wie eine feste Gewissheit (im Sinne von „Ich bin fest davon überzeugt“). 

  • Ich glaube an mein persönliches Ideal.
  • Ich glaube, dass ich wachsen kann.
  • Ich glaube, Gott wirkt in meinem Leben.
  • Ich glaube, dass mein Beitrag zählt.
  • Ich glaube an dein Charisma.

Ich glaube an mein persönliches Ideal meint die Fundierung eines persönlichen religiösen Selbstbewusstseins. Meine irdische Existenz ist verankert in Gott und ist dennoch ganz persönlich, ganz originell und von sehr konkreten Umständen und Hintergründen geprägt. Die Arbeit mit dem persönlichen Ideal und auch an dessen Formulierung ist situations- und lebensspezifisch jeweils eine erneute und angepasste Arbeit am Abenteuerweg mit Gott. Die Suche und jeweilige Aktualisierung des eigenen persönlichen Ideals, wie es in der Pastoral der Schönstatt-Bewegung geübt wird, ist so etwas wie eine Selbstermächtigung, die Quelle des gläubigen Aktiv-Werdens ist.

Ich glaube, dass ich wachsen kann, ist eine wichtige Ergänzung und Erweiterung dieser Überzeugung des persönlichen Ideals. Damit verbunden ist die Überzeugung, dass ich morgen anders sein kann als gestern, und Veränderung möglich und nötig ist. Das Leben, auch das religiöse Leben, ist kein passives Sich-Einleben, sondern stets ein aktiver, persönlicher Wachstumsweg. In allen pastoralen Settings, die ich im Rahmen der Bewegung erlebe, steht dieses Wachstum der jeweiligen Persönlichkeit im Vordergrund. Damit verbunden ist – und sollte sein – auch immer die Achtung und Wertschätzung der persönlichen Wachstumsräume anderer Menschen. Bewusste Akzentuierungen, woraufhin ich persönlich wachsen kann, sind wichtiger Teil des Selbstermächtigungsprogramms, das für jeden Menschen und jeden Tag neu ansetzen kann.

Der dritte Satz Ich glaube, Gott wirkt in meinem Leben fokussiert auf das Grundbewusstsein, dass nicht alles im eigenen Denken und Handeln liegt und oftmals Gottes Wirken und auch seine Führung ganz außerhalb unserer eigenen Pläne liegt. Im Raum der Bewegung sehe ich diese Suche und Deutung nach der Führung Gottes und auch der damit verbundenen Kultivierung einer achtsamen Deutung und Unterscheidung der Geister wirksam. Nicht alles, was geschieht, wird pauschal als Wille Gottes abgetan. Und dennoch wird für das Bewusstsein sensibilisiert, von ihm geführt zu sein. In dieser Unterscheidung liegen dann weitere unterschiedliche Akzentuierungen: In Hinblick auf vergangene Geschehnisse steht der Aspekt der Verarbeitung, der Erkenntnis und Deutung von Gottes Führung im Vordergrund, während sich in Hinblick auf Gegenwärtiges und Zukünftiges die Akzentuierung auf der Haltung gewachsenen Vertrauens und damit verbundener Hoffnung liegt. Diese werden zur Quelle, zu Gründen, die auch in Handlungssituationen, die tendenziell ohnmächtig machen, zu einer erlernten Ressource, zur antilähmenden Haltung werden.

Ich glaube, dass mein Beitrag zählt, fokussiert als Ergänzung zum Vertrauen auf Gottes Wirken, auf die alltäglichen Konkretionen eigenen Handelns. Die gläubige Überzeugung, dass Gott mit uns Geschichte schreibt, lässt große und kleine, freudige und schmerzliche, bedeutsame und auch scheinbar unwichtige oder lästige, manchmal auch von Trauer und Leid geprägte Erfahrungen ganz in ihrer jeweiligen Bedeutung und Gewichtung für das eigene Leben ernst nehmen. Vieles, wenn nicht sogar alles, kann zu einem eigenen Beitrag werden, der wirkt – für einen selbst und für andere. 

Ich glaube an dein Charisma meint schließlich die Erweiterung des eigenen Handlungshorizonts durch die Kultur der Begegnung und des Miteinanders. Die Bedeutung der Begegnung ist ein Element, das zur DNA des Christentums gehört, wie es in den Evangelien grundgelegt ist. Diese Verheißung in der konkreten Begegnung von Angesicht zu Angesicht mit den mehr oder weniger liebgewonnenen Menschen in unserer konkreten Lebenswelt als Glaubensquell zu sehen, ist fast schon anstößig herausfordernd. 

Jeder dieser Grundvollzüge erweitert diesen Raum der Handlungsgründe: Suche nach Persönlichem Ideal, nach konkreten Wachstumsschritten, dem Wirken Gottes in konkreten Erfahrungen, der Möglichkeit Beiträge zu bringen und im konkreten Miteinander bilden den Hintergrund für das, was aktiv werden lässt. Es sind im Glauben fundierte Ermächtigungen angesichts der Komplexität der Welt. Wie dieses Potential nicht individuell enggeführt wird, sondern soziale und caritative Dimensionen entfalten kann ist ein anderes Kapitel.

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Felix Geyer

Schönstatt-Pater, Jahrgang 1986. Lehrbeauftragter für Sozialethik am CTS Berlin, Schriftleiter der Zeitschrift Regnum, Mitglied im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken und seit Oktober Leiter der Deutschen Schönstatt-Bewegung. Er beschäftigt sich mit Wertfragen und gesellschaftlicher Veränderung und der Mitgestaltung der Schönstatt-Bewegung.

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