Verstehen, was Gott von mir will
von Ulrich Emge
Das mit dem Heiligen Geist ist so eine Sache. Von Jesus erfahren wir, dass er den Jüngern und uns den Heiligen Geist, den Beistand, sendet, damit wir Gottes Willen für uns in verschiedensten Situationen erkennen können. An Pfingsten ist da von einem Brausen die Rede und von Feuerzungen. Bei der Taufe kommt der Heilige Geist auf den Täufling herab und wird bei der Firmung erneut zugesprochen. Und er ist eine der drei göttlichen Personen. Aber was genau der Heilige Geist ist, wie man ihn erklären kann und wie er wirkt, das ist gar nicht so einfach in Worte zu fassen.
Ich nehme den Anlauf mal so: wir Menschen sind zunächst einmal in einem Körper zuhause. In diesem Körper erfahren wir durch Sinneseindrücke unsere Umwelt und durch diese Eindrücke entsteht unser seelisches Empfinden. Unser Leben lang lernen wir, uns selbst und unsere Umwelt zu verstehen. Mathematik, Naturwissenschaften, Technik, Kommunikation, die Formung unserer Sprache eignen wir uns an und verarbeiten unsere Erkenntnisse mithilfe unseres Verstandes. Damit kommen wir zu logischen Schlussfolgerungen, die als Ausgangsbasis für eine ganze Reihe von Entscheidungen dienen können. Der Verstand operiert auf Basis der Naturgesetze, des Gelernten und Vorgegebenen. Was der Verstand hervorbringt, ist quasi ein Produkt unseres Gehirns.
Intuitives Schauen
Wir treffen aber auch Entscheidungen aus dem Bauch heraus, bei denen wir spüren, dass sie richtig sind. Wir begegnen einem Menschen und haben „Schmetterlinge im Bauch“, ohne dass wir dabei näher erklären könnten, warum. Wir machen uns viele Gedanken darüber, wer wir eigentlich sind, wozu wir in dieser Welt sind, was unsere Berufung sein könnte, und plötzlich steht uns die Antwort darauf greifbar vor Augen – unvermittelt, unter der Dusche oder auf dem Klo. Dazu sind wir in der Lage durch unseren Geist.
Mein Philosophieprofessor (Winfried Weier) hat diesen Geist einmal definiert als die Fähigkeit des „intuitiven Schauens von Sinn-, Wert- und Wesensgehalten“. Und er ging davon aus, dass unser Geist diese schauen kann, weil er sie schon kennt, weil er seinen Ursprung in Gott hat. Der Geist versetzt uns in die Lage, uns über das Materielle, Diesseitige und Logische hinaus auszustrecken. Was der Geist entdeckt, geschieht nicht durch Nachdenken, es stellt sich einfach ein, ereilt mich spontan, so, als würde mir ein Licht aufgehen. Durch meinen Geist bin ich fähig, zugunsten eines größeren Ganzen zu handeln, auch wenn das für mich mit Einschränkungen oder gar Nachteilen verbunden ist.
Für jemanden ein Opfer zu bringen zum Beispiel oder Fasten sind geistige Leistungen. Ebenso, sich freiwillig an Corona-Regeln zu halten, um damit die Schwächsten der Gesellschaft zu schützen (ohne über die Sinnhaftigkeit einzelner Maßnahmen ins Detail zu gehen) oder Angela Merkels berühmter Satz „Wir schaffen das!“ angesichts der Flüchtlingswelle, sind geistgewirkt. Merkel sprach diesen Satz ziemlich spontan aus, ohne große Rücksprache mit ihren Ministern, inspiriert von ihrem christlichen Menschenbild und folgte damit intuitiv dem, was für sie in dieser Situation der höchste Wert zu sein schien: die Mitmenschlichkeit.
Unser menschlicher Geist wirkt stets aufbauend, fördernd und menschenwürdig. Er ist dafür verantwortlich, was ich von all dem Erlernten in meinem Leben zu Erlebtem mache und prägt daher auch entscheidend meine Originalität mit.
Ein anderer Vergleich könnte lauten: mein Gehirn ist wie die Hardware in einem Computer, der Verstand wie die Software, die darauf installiert ist. Das Produkt meiner Arbeit – ob ich nun diesen Text schreibe, ein Bild bearbeite oder zeichne, Musik auf dem Rechner mache – ist eine geistige Leistung.
Ein besonderer Beistand
Vielleicht spüren Sie schon, dass von hier aus der Schritt zum Verstehen, was den Heiligen Geist ausmacht, nicht mehr allzu groß ist. Der Beistand (Joh 14,26), den Jesus sendet, soll die Jünger in die Lage versetzen, intuitiv den Willen Gottes für ihr Leben jetzt in dieser konkreten Situation erspüren zu können. Der Heilige Geist soll ihnen das aufschließen, was Jesus ihnen jetzt geraten hätte, wenn er noch an ihrer Seite wäre. Besonders deutlich führt das der Pfingstbericht der Apostelgeschichte vor Augen (Apg 2,1-13). Das Verhalten der Jünger folgt der Logik ihres Verstandes: sie haben sich angstvoll versteckt, um der Gefahr zu entgehen, ein ähnliches Schicksal erleiden zu müssen wie zuvor ihr Meister. Das „Brausen“, das sie durchfährt, würde ich übersetzen mit der spontanen Erkenntnis, dass alles umsonst geschehen sein könnte, wenn sie nicht nach draußen gehen, um aller Welt von den Taten und Wundern zu erzählen, die sie mit Jesus erlebt hatten. Und auf einmal haben sie „Feuerzungen“, die begeistert sprechen, auf einmal sind unterschiedliche Sprachen keine Barriere mehr, auf einmal gibt es scheinbar kein Kalkül mehr, dass ihr Auftreten Nachteile mit sich bringen könnte. Es ist, als hätte Jesus die Jünger besucht wie beim Emmausgang, um ihnen den Sinn und die Zusammenhänge zu erklären. Nur war er nicht selbst da, sondern sein Heiliger Geist. Es ist, als hätte Jesus den Jüngern seinen Geist „ausgeliehen“, der ihm selbst sein Leben lang den Willen seines himmlischen Vaters aufgeschlossen hat. Der Heilige Geist ist das, was Jesus „eines Sinnes mit seinem Vater“ sein lässt, ihn lieben, heilen, barmherzig sein lässt, wie der Vater es tut.
Offen sein für Gottes Wirken
Auch in der Verkündigungsstunde spielt der Heilige Geist eine zentrale Rolle. „Heiliger Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten.“ (Lk 1,35) Ich bin nicht der Auffassung, dass es hier um die Fruchtbarkeit Marias geht. Diesen Satz antwortet der Engel auf Marias Unsicherheit und Ängstlichkeit und will ihr damit zu verstehen geben: wenn du bereit bist, wird Gott dich ganz öffnen für seinen Willen und dich erkennen lassen, was er mit dir vorhat. Er wird dir Kraft für alles geben, was dann auf dich zukommt.
Ausgehend von dieser Umschreibung, was und wie der Heilige Geist wirkt, würde ich sagen, dass man den Heiligen Geist auch am Handeln der Menschen erkennen kann. Wenn jemand friedliebend, sanftmütig, gütig, geduldig, liebevoll mit anderen umgeht, so als wäre er in seinem Tun von Gott gelenkt, lässt sich darin das Wirken des Heiligen Geistes erkennen.
Der Heilige Geist bekommt dort Raum, wo ich bewusst für Gottes Willen offen bin und bleibe, statt eigene Ideen oder mich selbst mit Macht durchzusetzen. Vergangene Woche sollte ich das Bibelteilen zum Beginn der Pfarrgemeinderatssitzung leiten. Normalerweise sehe ich mir dazu zuerst das Tagesevangelium an. Aber an diesem Tag war der Text einfach sperrig und gar nicht leicht. Nehme ich einen anderen und serviere der Runde eine Frohe Botschaft nach meinem Gusto oder riskiere ich es, das Gremium mit diesem Text zu konfrontieren? Wir beginnen immer mit einem Gebet um den Heiligen Geist und siehe da: er hat jedem auf seine Weise einen Zugang zu diesem Text ermöglicht, der mir so sperrig vorkam.
Vielleicht könnte man auch sagen, er ist der Gott, der sich mitteilen und in Beziehung führen will. Schließlich ist der dreifaltige Gott in sich Beziehung – Liebesbeziehung! So hat Augustinus den Heiligen Geist bezeichnet als die Liebe zwischen Vater und Sohn. Jesus hat die Liebe seines himmlischen Vaters zu den Menschen und der Schöpfung Kraft des Heiligen Geistes in sich präsent. Und so lebt und handelt er. Und genau dazu will Jesus uns durch die Sendung seines Geistes auch befähigen: so mit ihm verbunden zu sein, leben und handeln zu können, wie es Gottes Willen entspricht. Dazu bedarf es nicht in erster Linie intellektueller Fähigkeiten, sondern des intuitiven Schauens, wozu wir durch unseren Geist fähig sind. Wie wenn mir ein Licht aufgeht…
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