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Wählen heißt entscheiden

Wählen heißt entscheiden

Ein Blick auf das Kaleidoskop der Herausforderungen, auf die Politik in den kommenden Jahren Antworten finden muss

von Markus Hauck

Am 24. September heißt es wieder, für die kommenden vier Jahre den deutschen Bundestag zu wählen. Was für manche lästige Pflicht ist, ist ein Privileg, um das uns Menschen in China, in Teilen Afrikas und selbst in der nahen Türkei beneiden: freie, unabhängige, allgemeine und gleiche Wahlen.

Was die Menschen bei uns umtreibt, ist also weniger die Sorge darum, mit den eigenen Werten, Sorgen und Bedürfnissen überhaupt Gehör bei denen zu finden, die durch die Gesetzgebung die Rahmenbedingungen des Gemeinwesens regeln.

Flüchtlinge – der stärkste Aufreger

Wie bei jeder Wahl gibt es auch diesmal ein Bündel von Themen und Megatrends, welche die Wahlentscheidung der Bundesbürger maßgeblich beeinflussen dürften. Vor gut einem Jahr schien es praktisch nur einen Aufreger zu geben: das Themenfeld Zuwanderung, Flüchtlinge und Asylbewerber. Im satten zweistelligen Bereich sahen Wahlforscher die Ein-Thema-Party AfD, die sich unter der Bundesvorsitzenden Frauke Petry auf eine einfache Antwort auf (fast) alle gesellschaftlichen Herausforderungen eingeschossen hatte: Ohne Flüchtlinge gehe es Deutschland besser. Beim Fischen am rechten Rand des politischen Spektrums war sich Petry auch nicht zu schade, das eindeutig mit Nazigedankengut in Verbindung stehende Sprechen von „völkisch“ als positiv und richtig zu verteidigen.

Dass die AfD mit ihrem bisherigen Thema heute deutlich weniger Unterstützer um sich scharen kann, ist nicht zuletzt der großen Zahl von – oft christlich motivierten – Ehrenamtlichen zu verdanken, die statt über den Umstand des Auftretens von Flüchtlingen zu lamentieren, lieber mit Wort und Tat dafür sorgten, diesen Menschen das Ankommen und Einleben in Deutschland zu ermöglichen und zu erleichtern.

Wie geht es weiter?

Dennoch wird das Thema auch in Zukunft auf der politischen Tagesordnung bleiben. Zu viel ist unter anderem bei der Bearbeitung der Asylanträge durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) schief gelaufen. Trauriger Höhepunkt ist in diesem Zusammenhang sicherlich der Fall des Bundeswehroffiziers Franco A., der wegen des Verdachts in Untersuchungshaft sitzt, einen Terroranschlag geplant zu haben, den er Flüchtlingen unterschieben wollte. Wieso sich im BAMF bei der Anhörung keiner gewundert hat, dass ein angeblicher Syrer nur Französisch spricht und keinen Brocken Arabisch?

Sicher ist, dass die Integration der Kriegsflüchtlinge, die allein in den vergangenen zwei Jahren nach Deutschland gekommen sind, eine Herausforderung bleiben wird. Auch finanziell. Kein Problem, könnte man angesichts der seit Jahren festen „Schwarzen Null“ im Bundeshaushalt sagen, zumal auch die Prognosen für die Entwicklung der Konjunktur gut ausfallen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.

Bildungswesen und Infrastruktur – Fragezeichen

Das Bildungswesen und die Infrastruktur sind zwei Beispiele für eine verfehlte Sparpolitik vergangener Jahre und Jahrzehnte, die sich nun langsam rächt. Das einst von den Experten für Bildungspolitik – richtig, der Finanzministerkonferenz – eingeführte achtstufige Gymnasium ist in der Mehrheit der deutschen Bundesländer schon wieder abgewrackt oder auf dem Weg dorthin. Schulhäuser sind in weiten Teilen Deutschlands im harmlosesten Fall gammelig und wenig ansehnlich, zum Teil aber tatsächlich einsturzgefährdet oder durch undichte Stellen im Dach schimmelig. Ein Land, das außer Bildung und Erfindungsgeist nur sehr übersichtlich mit Rohstoffen gesegnet ist, sollte sich gerade im Bereich Bildung eine derartige Bankrotterklärung ersparen.

Von Armen und Zockern

Ähnlich erschreckend ist die Jahr für Jahr weiter auseinanderklaffende Schere zwischen den Superreichen und denen, die schon in der Monatsmitte nicht mehr wissen, wovon sie Lebensmittel kaufen sollen. Der von der SPD als gewaltiger Schritt in Richtung gerechte Bezahlung gepriesene Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde ist das Papier des Gesetzestexts nicht wert, wenn es zu wenig Kontrollen gibt, oder gerade im Bereich Dienstleistung wie Raumpflege oder Gastronomie vielfach getrickst wird, um diese Vorgabe einfach zu umgehen. Ach ja, und wann bekommen Frauen eigentlich endlich für gleiche Arbeit den gleichen Lohn wie Männer?

Dazu kommt, das gerade bei sozial Schwachen der berechtigte Eindruck bleibt, die Zocker, die durch Gesetzeslücken bei windigen Tricksereien wie „Cum-Ex-Geschäften“ an der Börse den Staat um Milliardenbeträge schröpfen oder sich vor Steuern durch Schwarzgeldkonten auf irgendwelchen kleinen Inseln drücken, bleiben ungeschoren.

Der Ruf nach besserer Luft

Das Thema Ökologie, einst das Erkennungszeichen und der Markenkern der Grünen, ist inzwischen zumindest in Grundzügen bei nahezu allen demokratischen Parteien als wichtig erkannt. Dennoch tun sich fast alle schwer, nach dem zweiten und diesmal allem Anschein nach auch finalen Atomausstieg konsequent auf eine nachhaltige Energieversorgung zu setzen – auch und gerade im Bereich Mobilität. Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident im ehemaligen CDU-Stammland Baden-Württemberg, aber auch Horst Seehofer im benachbarten Bayern, wissen beide um die katastrophal schlechten Luftwerte zum Beispiel in ihren Hauptstädten Stuttgart und München. Ein Dieselfahrverbot oder andere durchaus sinnvolle Maßnahmen zur Optimierung der Luftreinhaltung scheuen sie aber wie der Teufel das Weihwasser. Fast könnte man meinen, die Automobilhersteller und mit ihnen die Wirtschaft sei wichtiger als die Gesundheit und das Leben der Bürger.

Oder hat Deutschlands Industrie Nummer eins vielleicht schlicht versäumt, vor mehr als 20 Jahren Antriebstechniken jenseits von Diesel- und Ottomotor zu erproben?

Wohl ähnlich lange nicht im Blick haben die Verantwortlichen den Wohnungsbau oder die Entwicklung zu immer größeren Metropolen gehabt. Zudem wurde wohl zu sehr darauf vertraut, dass der freie Markt Angebot und Nachfrage regelt. Fragen wir doch mal Alleinerziehende oder Rentner im Raum München, Hamburg oder Frankfurt, was sie von dieser Theorie halten.

Deutschland als Global Player

Angesichts vielfältiger Herausforderungen im Land wird bei dieser Bundestagswahl auch noch ein weitaus globaleres Thema zu beachten sein: Wie positioniert sich Deutschland in einer immer globaler vernetzten Welt? Wieviel Europa brauchen wir, auf welche Partner jenseits der EU können wir zukünftig setzen? Wem sind weltweiter Friede, gerechter Welthandel und Verlässlichkeit ebenso Anliegen, um so die Ursachen von Flucht und Vertreibung ebenso auszumerzen wie einen weiteren Raubbau an der Natur zu verhindern?

Und wie sieht es mit der Inneren Sicherheit, die in jüngster Zeit durch islamischen, rechts- wie linksradikalen Terrorismus bedroht ist, mit den Herausforderungen der digitalen Revolution und der immer älter werdenden Gesellschaft aus? Wie entwickelt sich die Republik in Folge von „Ehe für alle“ in Zukunft? Fallen womöglich als Folge bisherige ethische Beschränkungen wie Leihmutterschaft in der Reproduktionsmedizin? Nur um mal ein paar weitere Stichworte zu nennen.

Was tun?

Einfache Antworten waren noch nie so schwer und zugleich so falsch wie heute. Ein Grund mehr, wählen zu gehen. Und sich die Mühe zu machen, vorher die Wahlprogramme genau zu prüfen. Zum Beispiel ganz komfortabel mit dem „Wahl-o-Mat“ der Bundeszentrale für politische Bildung (www.bpb.de). Nicht dass Ihnen hinterher das amerikanische Sprichwort vom Anfang schmerzlich in Erinnerung kommt.

Markus Hauck

Pressesprecher im Bistum Würzburg, Mitglied der basis-Redaktion.

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