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Weihnachten als Gottes Geschenk an die Menschen

Weihnachten als Gottes Geschenk an die Menschen

von Manfred Gerwing

Weihnachten: ein Geschenk Gottes an die Menschen, ein Geschenk freilich, das angenommen und ausgepackt werden will; und zwar achtsam, behutsam, Schicht für Schicht. Schon die Verpackung hat es in sich, schon die Verpackung gehört zum Geschenk. Doch all das erkennen die Beschenkten erst, wenn sie das Geschenk ganz ausgepackt und sich voll zu eigen gemacht haben. Mit anderen Worten: Sie nehmen das Geschenk Gottes erst als solches wahr, wenn sie es wirklich und wahrhaftig zu „ihrem“ Geschenk haben werden lassen. 

Das klingt kompliziert, ist es aber gar nicht. Wir kennen den gemeinten Vorgang auch von anderen Gütern des Lebens. Es gibt Dinge, Kunstwerke, Gemälde und Skulpturen etwa oder auch Musik und Literatur, womöglich auch natürliche Orte und Horte, die wir uns nicht allein schon dadurch aneignen, dass wir sie käuflich erwerben oder uns schenken lassen. Damit sie wirklich zu uns gehören, unser Eigentum werden, müssen wir sie uns vertraut machen, was oft die gesamte Kraft der inneren Existenz kostet. Das Buch, das ich habe, will gelesen, das Gemälde, das an der Wand in meinem Wohnzimmer hängt, will intensiv betrachtet und die CD mit dem Weihnachtsoratorium von Bach will abgespielt, aktiv gehört werden. Wir erinnern uns an die Geschichte vom reichen Mann: „Mein Garten“, sagt er stolz und mit ausholender Geste zu seinem Gast. Der Gärtner aber, der dabeistand, lächelte nur.

Und das Wort ist Fleisch geworden

Der Prolog des Johannesevangeliums bringt das, worum es Weihnachten geht, auf den Punkt. Hier wird ausbuchstabiert, was Weihnachten bedeutet, was uns Weihnachten von Gott geschenkt wird: et verbum caro factum est, zu Deutsch: Und das Wort ist Fleisch geworden. Das Wort aber, von dem hier die Rede ist, ist Gott selbst. Es ist das Wort Gottes; und dieses ist Fleisch geworden. Es ist das Wort, in dem Gott sich uns mitteilt, sich ausspricht, uns anspricht. Nochmals: Dieses Wort ist Fleisch geworden. 

Fleisch ist im Neuen Testament nicht im Gegensatz zu Knochen oder zu Blut zu verstehen. Fleisch ist überhaupt nicht als ein Teil des Menschen oder gar am Menschen wahrzunehmen, sondern als das, was unser irdisches Sein insgesamt ausmacht, betrachtet besonders unter der Perspektive der Vergänglichkeit. Gemeint ist also unsere endliche und sterbliche Wirklichkeit, gemeint ist der ganze Mensch, mit allem, was sein Leben ausmacht: mit seinem Werden und Vergehen, mit seinen Leiden und Freuden, seinen Ängsten, Hoffen und Bangen, seinem Sehnen und seinen Süchten, seinen Enttäuschungen, Neuanfängen, seinem Lachen und Weinen. 

Stopp, nicht so schnell! Noch einmal zurück zum Weihnachtsevangelium. Wir dürfen nichts überhören, nichts überlesen. Hier ist vom Wort Gottes die Rede. Was aber ist damit gemeint? Wofür bedankt Paulus sich, wenn er zum Beispiel den Thessalonichern ausdrücklich dafür dankt, dass sie sein Wort, das er ihnen verkündet hat, nicht als Menschenwort, sondern als das aufgenommen haben, was es in Wirklichkeit ist: als Wort Gottes? (1 Thess 2,13)

Ein Gottesverständnis mit Konsequenzen

Um recht zu verstehen, was oder wer das Wort Gottes ist, muss – logischerweise – erst einmal geklärt werden, was das Wort Gott bedeutet. Was meinen wir, wenn wir Gott sagen? Anselm von Canterbury († 1109), zweifellos einer der größten Theologen der Weltgeschichte, hat auf dieser Reihenfolge bestanden: Erst wenn die Frage nach Gott geklärt ist, kann die zweite Frage beantwortet werden: die Frage, die uns jetzt beschäftigt, die Frage danach, warum Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist, cur deus homo. Tatsächlich legt Anselm ein Gottesverständnis vor, das, wie es heißt, „von Christen, Juden und Heiden“ geteilt wird und auch in unserem Zusammenhang alle Beachtung verdient. Anselm bezeichnet Gott als jene „Wirklichkeit, worüber hinaus nichts Größeres gedacht zu werden vermag“, ja, als eine „Wirklichkeit, die größer ist als alles, was gedacht werden kann“, d.h. im Grunde eine völlig andere Wirklichkeit ist als jene Wirklichkeit, mit der wir es da und dort, dann und wann zu tun haben. 

Ein solches Gottesverständnis hat Konsequenzen. So verbietet es sich, Gott und Welt im Sinne einer Addition zu denken: Gott + Welt = Mehr-als-Gott. Ein Mehr-als-Gott gibt es nicht; sonst wäre Gott nicht Gott, nicht „größer als alles, was gedacht werden kann”. Kreator und Kreatur dürfen nicht so gedacht werden, als stünden sie sich dualistisch gegenüber. Vielmehr muss zwischen dem Grund, Gott, und dem Begründeten, Welt, eine maximal-mögliche Vereinigung bestehen. Denn Gott ist jene Größe, die alles umschließt, aber selbst von nichts begrenzt wird. Mit anderen Worten: Die Welt, der Mensch, die Schöpfung insgesamt ist nur deshalb und insofern, als sie bezogen ist auf Gott. Das Woraufhin der Schöpfung aber fällt nicht mehr unter unsere Begriffe. Es ist das uns vorgegebene Geheimnis, auf das hin wir unterwegs sind.

Woher wissen wir, dass Gott unser Heil ist?

Die mit Gott bezeichnete Wirklichkeit sprengt all unser Begreifen und unsere Begriffe. Wir können sie nicht mit der natürlichen Vernunft wahrnehmen. Das, was wir mit der natürlichen Vernunft einsehen können und was traditioneller Weise „natürliche Gotteserkenntnis“ heißt, ist, dass Gott – vgl. 1 Tim 6,16 – in unzugänglichem Licht wohnt. Die mit Gott bezeichnete Wirklichkeit ist jenseits all unseres differenzierenden und definierenden Sprechens. Wir haben Gott nicht im Griff. Gott ist nicht „in einen Begriff zu zwingen”.

Wie können wir dann aber Kenntnis von diesem Gott haben? Wenn es alles andere als selbstverständlich ist, dass wir Gott erkennen, woher wissen wir dann nicht nur, dass dieser Gott ist, sondern in gewisser Weise auch, wie dieser Gott ist? Wenn er „in unzugänglichem Licht wohnt”, woher wissen wir, dass Gott unser Heil ist? 

Gerade darin besteht das Geschenk Gottes an den Menschen: dass er sich selbst verständlich macht! Er kommt auf uns zu. Er tritt aus seiner Unzugänglichkeit heraus. Er teilt sich selbst uns mit; und zwar durch sein Wort, das in Jesus von Nazareth „Fleisch“ geworden ist und unter uns gewohnt hat (vgl. Joh 1,14). In seinem irdischen Leben, angefangen vom Leben im Schoß seiner Mutter, seiner Geburt im Stall von Bethlehem, seiner Kindlichkeit, seiner Menschlichkeit, seiner liebenden Hinwendung zu den Menschen, gerade auch zu den schwachen und hilflosen, den kranken und sündigen, nicht zuletzt auch durch sein qualvolles Sterben am Kreuz als Opfer menschlicher Bosheit, in all dem offenbart sich Gott, sagt er, was er uns sagen will: sich selbst.

Wer sich von Gottes Wort ansprechen und in Anspruch nehmen lässt, der nimmt das Geschenk Gottes an, der packt es aus und eignet es sich von innen her kraft des Heiligen Geistes an. Die Gottesmutter, die selbst „voll der Gnade“, also voll des Heiligen Geistes ist, hilft dabei. Sie will, dass Christus auch in uns geboren wird und wir dadurch immer mehr Gemeinschaft mit Gott haben, mit einem Gott, der Liebe ist (vgl. Joh 4,8.16). Dadurch verwandeln wir uns: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20). So werden wir immer mehr das, was wir durch Christus geworden sind: Kind des Vaters. Wir sind also nicht mehr nur vergängliche Menschen, nicht mehr nur „Sein zum Tod“, sondern „Sein zum Leben“, bestimmt für die Ewigkeit. 

Manfred Gerwing

Professor Dr., Lehrstuhlinhaber für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Er ist Mitglied des Schönstatt Familienbundes Deutschland. Papst Franziskus verlieh ihm 2019 den Gregorius-Orden.

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