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Weihnachten ist jeden Tag

Weihnachten ist jeden Tag

von Anne Haab

Vor etwa fünf Jahren trat ich meinen Dienst als Klinikseelsorgerin in den St. Vincentius-Kliniken Karlsruhe an. Ein Schwerpunkt meiner Tätigkeit war von Beginn an die Seelsorge auf den gynäkologischen Stationen. Als ich zum ersten Mal auf der Geburtsstation unserer Klinik war, fielen mir die erwartungsvollen und frohen Gesichter der „Patientinnen“ und ihrer Angehörigen auf, das Schreien der neugeborenen Babys und die insgesamt entspannte Atmosphäre. 

Auf der Geburtsstation

Auf der Geburtsstation steht normalerweise nicht die Heilung einer Krankheit im Vordergrund, sondern es geht um die Begleitung und medizinische Unterstützung von Eltern und Kindern bei deren ersten Schritten ins Leben. So ist schon direkt nach der Geburt im Kreißsaal ein Ziel, den Bindungsaufbau zwischen Mutter und Kind bzw. den Eltern und dem Kind zu fördern. Dies geschieht in einer Atmosphäre der Ruhe und des Schutzes, wo Zeit und Raum füreinander ist und die Familie im Mittelpunkt steht. 

Etwas später auf der Geburtsstation setzt sich das Für-und-miteinander-Zeit-Haben z.B. fort im Tagesablauf, der sich in manchen Dingen von der Normalstation unterscheidet. Beispielhaft dafür ist der gemeinsame Frühstücksraum, in dem die Mütter dann frühstücken können, wenn es in ihren Ablauf passt. Haben sie nachts kaum geschlafen, können sie auch zu einem späteren Zeitpunkt frühstücken und sind nicht an die engen Klinikzeiten gebunden. Gleichzeitig haben sie Kontakt zu anderen Müttern. Man spricht über die Geburt, über die Kinder und darüber, was zu Hause sein wird.

Das Wunder des Lebens

Für mich ist diese Erfahrung ein großer Gegensatz zu vielen anderen Stationen, wo Hektik herrscht, eine Untersuchung die andere jagt und oft möchten Patient*innen oft einfach nur ihre Ruhe haben, um anzukommen, Dinge zu verarbeiten und für sich zu schauen, wie es weitergehen kann.

Anders auf der Geburtsstation. Hier ist klar, dass das Leben der Eltern auf den Kopf gestellt wird – manchmal mehr, manchmal weniger. Und alle freuen sich darüber, denn Eltern, Geschwister, Großeltern … haben auf dieses Kind gewartet und die Freude ist riesengroß, wenn es auf der Welt ist. Dass die Nacht zum Tag werden kann, dass notwendige Erledigungen irgendwie zwischendurch geregelt werden müssen, dass das Neugeborene den Rhythmus bestimmt, ist normal und löst eher Freude als Sorge aus.

Menschwerdung geschieht jeden Tag, an jedem Tag wird die Freude erlebbar, von der der Engel im Lukasevangelium spricht: „Siehe, ich verkünde Euch eine große Freude.“ Das Wunder des Lebens ist immer wieder neu sichtbar, im Kreißsaal bei den Hebammen und Arzt*innen, wo das Kind schnell oder manchmal erst nach vielen Stunden das Licht der Welt erblickt, und auf der Geburtsstation, wo die neuen Mütter oder Eltern noch ein paar Tage mit den Kindern bleiben. Über das Wunder, dass aus der Verschmelzung von Samen- und Eizelle dieser wunderbare Mensch wird, muss nicht viel gesprochen werden, doch es ist in allen Gesprächen da und spürbar, egal ob die Eltern gläubig sind oder ob sie sich als Atheisten bezeichnen. Hier passiert jedes Mal etwas Wunderbares, das alle in Staunen versetzt. …

Anne Haab

Arbeitet in der katholischen Klinikseelsorge in den St. Vincentius-Kliniken Karlsruhe.

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