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Weit mehr als nur ein Ort für Bücher

Weit mehr als nur ein Ort für Bücher

Bibliotheken werden häufig als Wissensspeicher bezeichnet. Können sie das sein? 

von Nikolaus Berger

Was ist Wissen?

Rund um die 2000er Jahre war das Thema Wissensmanagement stark präsent. Bildungsangebote entstanden und in Organisationen entwickelten sich Funktionen wie die der WissensmanagerInnen. Es wurde diskutiert, was Wissen eigentlich ist. Das musste verstanden werden, bevor es gemanagt werden kann. Eine oft angewandte Definition war die Wissenspyramide. 

Menschliche Kulturen haben Zeichen entwickelt wie Buchstaben, Zahlen und Symbole, um zu kommunizieren. Eine Aneinanderreihung von Zeichen ergeben Daten. Mit entsprechenden Kenntnissen werden aus Daten Informationen. Damit eine Information verstanden wird, werden bestimmte Voraussetzungen benötigt. Lesen können, Sprachkenntnis, Verständnis von Kalender und Datum, was eine Gründung ist usw. Es benötigt einen menschlichen Kopf, der diese Information verarbeiten kann und so auswertet, dass Wissen entsteht. Wenn wir dieser Erklärung folgen, dann ist die Benennung von Bibliotheken als Wissensspeicher nicht möglich, es wären Speicher von Daten und Informationen.

In einem Kochbuch sind die Zutaten, die Mengenangaben und der Kochprozess einer Speise angegeben. Wenn ich dieses Kochbuch besitze, habe ich deshalb schon das Wissen, wie diese Speise gekocht wird? Diese Frage könnte mit Ja und mit Nein beantwortet werden. Entscheidend ist wohl das Kochergebnis. Es gibt die Erfahrung, dass trotz genauer Beachtung der Kochzutaten und des Kochvorgangs am Ende eine Speise herauskommt, die nicht so optimal gelungen ist. Jetzt habe ich wohl die Erkenntnis, dass ich trotz des tollen Kochbuches nicht weiß, wie die Speise zu kochen ist.

Während meines postgradualen Studiums machte ich eine interessante Erfahrung im Fach Finanzierung und Accounting. Im Unterricht haben wir Bilanzen von Unternehmen analysiert. Ein Kollege, der im Finanzmanagement eines Unternehmens arbeitete, konnte Dinge daraus interpretieren, dass wir sehr über diese Kompetenz staunten. Hier hat die Firma Vermögenswerte an- oder verkauft, um Gewinne zu erhöhen oder zu schmälern. Da wurde Steuer gespart, diese Maßnahme beruhigt den Börsekurs usw. Für die digitale Multiple-Choice-Prüfung hatten wir zur Vorbereitung einen Zugang zu Testprüfungen. Wir analysierten in einer Lerngruppe die Systematik der Prüfungsfragen und des Systems und übten so oft, bis wir die hunderte Fragen fast auswendig konnten. Alle meiner Lerngruppe bestanden mit einer eins, unser Finanzexperte, der nicht Teil der Lerngruppe war, nur mit 3. Das Prüfungsergebnis änderte aber nichts daran, dass er ein praxiserprobter Experte mit viel Wissen ist, und wir aus der Lerngruppe mit unserer 1 nicht.

Nikolaus Berger

ist Bibliotheksdirektor der Wirtschaftsuniversität Wien. Er verantwortet mit 84 MitarbeiterInnen die Versorgung von Forschung, Lehre und Studium mit unterschiedlichen Bibliotheksservices. Mit seiner Frau Monika ist er Mitglied im Institut der Schönstattfamilien. Er hat vier erwachsene Kinder und lebt in Wien.

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