Wie das Urchristentum ausstrahlte
von Peter Wolf
Es ist ein erstaunliches Phänomen, wie es nach dem katastrophalen Ausgang des öffentlichen Wirkens Jesu zu einer Fortsetzung mit Ausstrahlung werdender Christengemeinden im Urchristentum kommen konnte. Jesu Verurteilung durch das höchste Gericht des Judentums und die Hinrichtung durch das oberste staatliche Gericht sollte eigentlich das Aus bedeuten für das, was an Sammlung von Jüngerschaft und Verkündigung Jesu in zwei bis drei Jahren gerade angefangen hatte. Es gab wunderbare Erinnerungen, Begegnungen, aber das verteilte sich auf vielerlei Menschen und Orte von Galiläa bis Jerusalem. Jesus war als Wanderprediger durchs Land gezogen. Aber er hatte keine Schule gebildet, keinen festen Ort begründet, wo alles zusammenlief.
Auch wenn er mit einem gewissen Anhang von Jüngern in Jerusalem eingezogen war, der Verrat durch Judas im Garten von Getsemani, der Prozess am nächsten Morgen und die Hinrichtung am Tag vor dem Sabbat hat die Jüngerschaft auseinanderlaufen lassen. Dass manche Ostererscheinungen in Galiläa sich ereignen, lassen ahnen, dass manche seiner Jünger schon wieder zurück waren in ihren Familien und ihrem alten Beruf. Ich kann mir die Entstehung des Urchristentums ohne Ostern, ohne Erfahrungen mit dem Auferstandenen nicht denken.
Im Inneren berührt – die Jünger von Emmaus
Der Titel dieser basis-Ausgabe ist für mich das Stichwort, das ich in einer der vielen Ostererzählungen finde und mir sehr wichtig geworden ist. Es ist die Geschichte der zwei Jünger, die von Jerusalem weglaufen zu einem Ort, der Emmaus heißt. Unterwegs schließt sich ihnen ein Fremder an, mit dem sie ins Gespräch kommen über die schlimmen Ereignisse in Jerusalem, die ihren Hoffnungen ein jähes Ende gesetzt haben. Erst später, als sie in Emmaus angekommen und eingekehrt sind, erkennen sie in dem Fremden Jesus, als er das Brot brach. Danach sagten sie zueinander:
„Brannte nicht unser Herz, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schriften eröffnete?“ (Lk 24,32)
Für die ersten Christen, die zunächst alle aus dem jüdischen Glauben kamen, war es eine bedrängende Frage, wie sie die Erfahrung mit dem schlimmen Ende ihres Meister deuten sollten und ob sie die ersten völlig neuen Erfahrungen mit dem Auferstandenen mit den in den Heiligen Schriften bezeugten Offenbarungen Gottes zusammenbringen konnten. Solche Übereinstimmung zu entdecken, war durchaus wie ein „Brennen im Herzen“. Viele Juden, die den wenigen ausgewählten Zeugen der Auferstehung glauben sollten, war es wichtig, solche Stellen und Passagen in den Heiligen Schriften zu entdecken. Nur so konnten sie glauben, was die ersten Christen und später Paulus als Überlieferung bezeugt: „Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden gemäß der Schrift.“ (1 Kor 15,4-5)
Im Innern berührt – Paulus vor Damaskus
Saulus, der selber Schriftgelehrter war und sich den Pharisäern angeschlossen hatte, um die Tradition der Väter gegen die römische Besatzung und gegen die Untreuen im eigenen Land zu verteidigen, wird einer der entschiedensten Gegnern der „Anhänger des „neuen Weges“ (Apg 9,2), wie in der Apostelgeschichte die ersten Christen genannt werden. Bei der Steinigung des Stephanus legen die Männer ihre Kleider zu seinen Füßen nieder und er wird auch weiter über Jerusalem hinaus im Auftrag des Hohen Rates diese Leute aufspüren und verfolgen. Erst das Ereignis vor Damaskus, das er selber in seinem ersten Brief an die Korinther (1 Kor 15) bezeugt und in eine Reihe mit den Erscheinungen des Auferstandenen stellt, wird ihn davon abbringen und zu einem Jünger des Herrn machen. Aus dem entschiedenen Gegner Saulus wird Paulus, der glühende Verehrer des Auferstandenen. Da fängt einer an zu brennen für Christus und gewinnt eine Ausstrahlung wie keiner der ersten Anhänger Jesu aus dem Umkreis des Sees von Galiläa bis hinauf nach Jerusalem.
Er ist der Erste, von dem wir schriftliche Zeugnisse haben durch seine Briefe an Gemeinden, in denen er Christus verkündet und wo er erste Gemeinde gegründet hat. In seinem Brief an die Galater schreibt er:
„Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Was ich nun im Fleische lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat.“ (Gal 2,20)
Da ist einer entzündet und brennt für Christus. Für mich ist hier die Quelle zu finden für die ungeheure Ausstrahlung des Paulus, die ihn antreibt, von Stadt zu Stadt von Land zu Land bis nach Rom, die Stadt der damals bekannten Welt die Botschaft von Jesus Christus zu tragen.
Er ist derjenige, der die Neuheit und Einzigartigkeit der Botschaft von der Auferstehung erkennt und darzustellen weiß. Er versteht, die Bedeutung des Auferstandenen für die Zukunft der Menschen und der Welt zu deuten (1 Kor 15,12-58). Er verkündet die frohe Botschaft von der Erlösung durch den Tod Jesu (Eph 1) und die Hoffnung auf die Auferstehung für die Menschen (1Thess 4,13-18). Er erschließt den Katechumenen die Bedeutung und Wirksamkeit der Taufe (Röm 6). Er setzt sich ein für die Feier des „Herrenmahles“ (1Kor 11 ,17-34) und mahnt, wenn er Entwicklungen beobachtet, die diesem Auftrag des Herrn entgegenlaufen.
Im Innern berührt – der Jünger, den Jesus liebte
Im Johannesevangelium, das gegen Ende des ersten Jahrhunderts geschrieben ist, begegnet uns ein Jünger, dessen Name eigenartigerweise nicht genannt wird. Er wird jedes Mal mit dem kurzen Relativsatz charakterisiert: „der Jünger, den Jesus liebte“. Ein erstes Mal begegnet uns dieser Jünger beim letzten Abendmahl in der kontrastreichen Szene, wie gerade vom Vorhaben des Verräters die Rede ist und die anderen Jünger aufgeregt der Frage nachgehen, wer von ihnen der Verräter sein könnte. Bei dieser Szene ruht jener Jünger an der Seite Jesu (Joh 13,23) und Jesus lässt diese Nähe zu. Der so vorgestellte Jünger ist dann als einziger der Jünger unter dem Kreuz anwesend und wird von Jesus seiner Mutter anvertraut und diese ihm. (Joh 19,26) Er läuft mit Petrus geradezu um die Wette zum Grab (Joh 20,2), erkennt als erster den Herrn am See von Galiläa und folgt Jesus ohne Aufforderung (Joh 21,20).
Abendmahldarstellung im Straßburger Münster
Dieser namenslose Jünger, der fünfmal immer mit der gleichlautenden Formulierung vorgestellt wird, steht im Johannesevangelium für das Ideal eines Jüngers. Das wird deutlich, wenn man wahrnimmt, dass Abschiedsreden des Johannesevangelium sich gerade um die Frage drehen, wie gehen Nachfolge und Jünger-Sein nach dem Abschied Jesu. Der Verfasser des Johannesevangeliums gebraucht für das zunächst bei den anderen Evangelisten völlig gebräuchliche Wort vom „nachfolgen“ das neue Wort vom „Bleiben in der Liebe“. Der Gedanke der „Nachfolge“ entsprach dem Erleben der ersten Jünger, die Jesus ganz im Sinn des Wortes „nachfolgten“, „hinter ihm her gingen“ (wie übrigens bis heute im Islam, eine Frau hinter ihrem Mann hergeht.) Für das Johannesevangelium gegen Ende des ersten Jahrhunderts ist offensichtlich die Idee und Vorstellung um vieles anziehender zu denken und zu sagen: Wir Christen sind die, welche „in der Liebe Jesu bleiben“.
Dafür steht das zentrale Gleichnis (Bildwort) der Abschiedsreden vom „Weinstock und den Reben“ (Joh 15,1-8). Was zunächst vom Bleiben am Weinstock gesagt wird, wird wenige Verse danach vom Bleiben in der Liebe Jesu ausgesprochen.
„Bleibt in meiner Liebe“ (Joh 15,9)
Dass die Urchristenheit eine solche Ausstrahlung bekommen hat, hängt für mich nicht zuletzt an dieser Beobachtung, dass nicht wenige Christen die Nachfolge als ein Geheimnis der Liebe entdeckt haben. Die Abschiedsreden im Johannesevangelium und die Gestalt des Liebesjüngers waren auch in der Geschichte christlicher Spiritualität wichtige Impulsgeber einer bleibenden Ausstrahlung des Christentums.
Beitragsfoto: © Abendmahl in Emmaus | Caravaggio: (um 1601) Bild bearbeitet für Wikipedia von Adrian Pingstone